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Positive Begleitmusik

■ Gestern erschien 'Die Andere‘, Zeitung des Neuen Forums, mit der ersten Ausgabe

Nun ist es endlich soweit, die erste überregionale unabhängige Wochenzeitung der DDR ist auf dem Markt. Und eins muß man ihr lassen. 'Die Andere‘ sieht tatsächlich anders aus als alle anderen Zeitungen, die man bisher an DDR -Kiosken kaufen konnte. Das Neue Forum hatte im Dezember eine Drucklizenz beantragt, und nach einer Rekordvorbereitungszeit von nur einem Monat ist das neue Blatt nun gestern zum ersten Mal erschienen. Mit 16 Seiten im klassischen Berliner Format, schwarz-weiß, verschiedenste Schrifttypen im Flattersatz, mit großformatigen Fotos reichlich bebildert, demonstrieren die MacherInnen ihren entschlossenen Willen zur modernen (Re-)Form.

Doch schon die Titelseite bereitet dem DDR-Gesichter -Unkundigen Probleme. Ein großes Foto mit vier hütetragenden älteren Herren verweist auf die Aufmacherstory: „Wie tot ist die Stasi?“ Auf Seite Drei erfährt man dann nichts weiter über jene abgebildeten Herren, dafür aber viel über den langen verzweifelten Kampf einiger engagierter DDR-Bürger gegen das übermächtige Bespitzelungssystem der Stasi. Wir wissen's längst, der lange aufgestaute Unmut gipfelte am 15. Januar im Sturm auf das Stasi-Gebäude in der Berliner Normannenstraße.

Der geneigte Leser wird hier wie auch an anderer Stelle die mangelnde Aktualität, mit der die Macher einer Wochenzeitung zu kämpfen haben, verzeihen. Unverzeihlich dagegen ist das Fehlen jeglicher Bildunterschriften und Fotonachweise. Vergeblich sucht man auch nach Anmerkungen zu den wahrscheinlich auch in DDR-Kreisen meist unbekannten Autoren.

Chefredakteur Dietmar Halbhuber begnügt sich im Editorial mit einer allzu knappen Erklärung der Gründungssituation. „Werden wir wirklich anders sein? - Klar! Wir kennen uns kaum. Keiner soll untergebuttert werden. Irgendwie basisdemokratisch.“ Das war's auch schon. Dafür läßt er sich in einem „Feature“ auf Seite 8 mit großem Pathos (neben großem Demo-Foto) nochmal über die schweren Zeiten der Opposition „vor der Zeitung“ aus.

Für einen im alternativen, basisdemokratischen Zeitungsmachen leidvoll geübten Leser ist das DDR-Debut enttäuschend. Hat man über sicher schwierigen Gründungsverhandlungen die inhaltliche Gewichtung ganz vergessen? Und die zwei unterschiedlichen Schrifttypen auf zwei gegenüberliegenden Seiten? Kleinkrämerei? Nicht nur.

Auch der größte Widerspruch, an dem die 'Andere Zeitung‘ noch zu knabbern haben wird, ist bislang nicht befriedigend gelöst. Vom Neuen Forum finanziert, strebt man gleichzeitig nach redaktioneller Unabhängigkeit.

Im Redaktionsbeirat sitzen fünf Mitglieder des Neuen Forums, und die Berichterstattung soll deren Politik „positiv begleiten“. Das liest sich in der ersten Ausgabe in einem Artikel über die Landesdelegiertenkonferenz in Leipzig so: „Daß basisdemokratische Arbeit auch effektiv sein kann, bewies das Neue Forum am zweiten Tag...“ Hofberichterstattung nennt man so etwas. Um den Allmachtsanspruch des Neuen Forums zumindest verbal zu entschärfen, hat man sich im Impressum auf folgende Formel geeinigt: „Die ANDERE. Zeitung für basisdemokratische Initiativen. Im Auftrag des Landessprecherrates des Neuen Forums. Herausgegeben von Klaus Wolfram.“ Wir wünschen gute Besserung.

Ute Thon

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