Geflüster im Regierungsviertel

■ Die Nähe zur Macht als Nähe zum Tratsch

Wahrscheinlich kommt's daher, daß man geographisch ganz nah dran ist und doch kaum mitmischt und nicht viel erfährt. Mit Rita Süssmuth im kleinen KollegInnenkreis ein Glas Wein trinken, Minister Schäuble während einer CDU-Feier um ein exlusives, wenn auch nichtssagendes Zitat angehen, sich auf der Bundespressekonferenz von Helmut Kohl bauchpinseln lassen: Alltag. Entsprechend viele wertvolle Informationen bleiben allerdings auch bei der größtmöglichen physischen Nähe zur tatsächlichen oder vermeintlichen Macht selten. Mit überdurchschnittlicher Inbrunst widmet man sich darum wohl dem Wer-hat-was-mit-wem?/Wer-wechselt-von-wo-nach-wo?/Wer -kommt-wie-in-welche-Positionen?.

„Wir wissen doch beide ganz genau, wo sowas entschieden wird - im Bett.“ So pflegte etwa unlängst ein Abgeordneter JournalistInnen zu erklären, weshalb eine Fraktionskollegin in einem aufsehenerregenden internen Streit nicht mehr seine Position ergriff, sondern die eines Kontrahenten. Gegen solchen Sexismus ist folgender Fall eher harmlos, lediglich ein Beispiel schamloser Neugierde: „Wie steht es denn um die Beziehung von X und Y? Die ist wohl so offen wie die deutsche Frage.“ Diese Information über zwei Bonner KorrespondentInnen hätte ein Journalist aus Hamburg während des Grünen Parteitages in Saarbrücken gern von einem Kollegen der beiden bekommen - wohlgemerkt ohne die beiden zu kennen oder ihnen bekannt zu sein. Niedrig ist auch die Schwelle zum Rufmord. Wie er denn die gerade eben nachgerückte Abgeordnete so fände, wurde einst jemand aus der Spitze einer Fraktion von einem vermeintlich diskreten Angestellten zwischen Tür und Angel gefragt. „Eher farblos“, antwortete der. Nur wenige Stunden später bekam's ein Journalist in dieser Version gesteckt: In den höheren Regionen der Fraktion hält man absolut nichts von der Frau, die erst seit einem Tag Abgeordnete war. Zustände wie in jedem Wohnblock, Schrebergarten, größerem Betrieb? Schon. Aber eben von Pofis verantwortet und mit Beteiligung der Öffentlichkeit.

Ferdos Forudastan