Bonn fühlt sich von Belgien entblößt

■ Begien erwägt Abzug seiner 25.000 Soldaten aus der BRD / Auch andere Bündnispartner sollen über Truppenreduzierung nachdenken / Bonn besorgt / Abzug nur im Nato-Bündnis diskutierbar / Konzept der Vorneverteidigung wäre gefährdet

Bonn (dpa/afp) - Die Überlegungen des belgischen Verteidigungsministers, seine 25.000 in der BRD stationierten Soldaten abzuziehen, ist in Bonner Regierungs und Militärkreisen mit Befremden aufgenommen worden. Das Vorprechen Guy Coemes wird als Schlag gegen die Bündnispolitik empfunden und schürt die Sorgen vor einem möglichen Rückzug auch der „großen Partner“.

Der Abzug der belgischen Truppen aus der Bundesrepublik muß deshalb, so der stellvertretenden Regierungsprecher Vogeln gestern in Bonn, innerhalb der Nato diskutiert werden. Coemes Äußerungen seien nur allgemeine Vorstellungen und Ankündigungen, aber keineswegs ein Beschluß. Bonn sei nicht verärgert. „Man nimmt das zur Kenntnis.“ Die Gedanken Coemes müssen nach den Worten Vogels in die internationalen Verhandlungen über die Reduzierung von Truppenstärken einfließen. Das Bundesverteidigungsministerium wolle die Überlegungen nicht kommentieren. Ein Sprecher der Hardthöhe erklärte, es handele sich um einen „internen Vorgang“.

Coeme hatte am Donnerstag mitgeteilt, er habe den Generalstab beauftragt, Modelle für den Abzug der Truppen aus der BRD auszuarbeiten. Der Brüsseler Verteidigungsminister hatte die Frage gestellt, ob Belgien noch Truppen entlang der Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR stationieren könne, wenn die Bürger dieser beiden Länder ohne große Probleme frei reisen können und offen über eine deutsche Wiedervereinigung gesprochen werde. Er warf der Nato vor, nicht schnell genug auf die verminderte Bedrohung aus dem Osten zu reagieren. Coeme unterstrich zugleich, daß Belgien nicht das einzige Land sei, das über seine Präsenz in der Bundesrepublik nachdenke. Auch sein niederländischer Amtskollege Relus Ter Beek habe die Möglichkeit eines Rückzugs in Betracht gezogen. Neben 25.000 belgischen und 8.000 holländischen Soldaten sind in Deutschland 60.000 Angehörige der britischen Rheinarmee, 50.000 französische Soldaten sowie rund 225.000 amerikanische und 7.000 kanadische Soldaten stationiert.

Jetzt wird in Bonn die Frage gestellt, wann die „großen Partner“ - USA oder Großbritannien - mit Abzugserwägungen beginnen. Schon seit längerem gibt es amerikanische Politiker, die ihre GIs nach Hause holen wollen. Der Rückzug der Belgier würde - darüber sind sich Offiziere und Politiker am Rhein einig - auch die Aufgabe einer der Säulen der Nato-Strategien, der Vorneverteidigung, bedeuten. Diese galt als ein essentielles Verteidigungsprinzip des Westens. Die Nato-Mitglieder sollten in eine „Kollektivhaftung“ eingebunden werden.