Von drieben wirklich vertrieben???

■ Während die Bonner Parteien sich um die Aus- und Übersiedler streiten, füllen sich weiter die Lager

Die SPD drängt angesichts des anhaltenden Menschenzustroms auf Kürzung der Sozialleistungen, doch noch will die CDU nicht viel ändern: Die für Aus- und Übersiedler zuständigen Länderminister haben sich gestern in Bonn nicht auf die Schließung der Aufnahmelager und das Auslaufen des Vertriebenengesetzes einigen können.

Viel war aus Wolfgang Schäuble nicht herauszubekommen: Das Notaufnahmeverfahren für Aus- und Übersiedler bleibt bestehen. Das Vertriebenengesetz wird nicht abgeschafft. 500 Millionen Mark Zuschuß bekommen die Länder für die Notaufnahmeverfahren - 1,35 Milliarden hatten sie gefordert. Und schließlich wird eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die die Anerkennungsverfahren für „Deutschstämmige“ in den jeweiligen Heimatländern überprüft. Dies Wenige beschied der Innenminister nach einem Treffen mit den für Aus- und Übersiedler zuständigen Länderministern gestern in Bonn.

Steif und fest behaupten, die Sozialleistungen für Aus- und Übersiedler blieben grundsätzlich bestehen, und ganz zart durchschimmern lassen, dem sei doch nicht so - auch weiterhin fährt die Bonner Koalition diesen Kurs.

Etwa 2.500 neue Übersiedler jeden Tag, und 600.000 für dieses Jahr erwartete Aussiedler drängen die Regierung Kohl zum Handeln. Was sie aber denn doch davon abhält: Die Angst, einen Mißton ins nationale Konzert zu setzen. Das Wissen, die Aus- und Übersiedlerzahlen massiv in die Höhe zu treiben, wenn sie Kürzungen verkündet. Und schließlich die Anstrengung, sich von einer jahrzehntelang gepflegten Ideologie zu trennen, wonach alle, die aus Osteuropa kommen, vom Kommunismus geknechtete Flüchtlinge und Vertriebene sind.

So wird unter weitestgehendem Ausschluß der Öffentlichkeit nachgedacht und beschlossen. „Eine parlamentarische Farce“ nennt es denn auch die grüne Abgeordnete Marie-Luise Beck -Oberdorf, was sich derzeit im zuständigen Ausschuß für Arbeit und Soziales abspielt: Die Regierung teilt den Abgeordneten einfach nicht mit, ob und welche Leistungen für Aus- und Übersiedler sie kürzen will.

Fest steht bisher lediglich, daß das sogenannte Fremdrentengesetz in einem unerheblichen Punkt geändert wird: Ehemalige führende Mitglieder osteuropäischer Geheimdienste sollen hierzulande keine Rente mehr bekommen.

Ansonsten beharrt die Regierung Kohl offiziell auf dem „Eingliederungsprinzip“ dieses Gesetzes. Danach steht Aus und Übersiedlern genauso viel Rente zu wie Bundesbürgern im gleichen Alter, die ebensolange gearbeitet haben. Die Höchstsätze bei diesen Fremdrenten kappen, sie pauschal reduzieren, nur noch die im Herkunftsland übliche Rente plus einen Kaufkraftausgleich gewähren - diese möglichen Gesetzesänderungen werden im Arbeitsministerium des Norbert Blüm derzeit heftig diskutiert. Außerdem will man in Zukunft strikt darauf achten, daß nur noch akut kranke Einreisende aus der DDR hierzulande behandelt werden.

Während die Bundesregierung zaudert, machen sich gerade auch die unionsregierten Länder daran, die Sozialleistungen zu kürzen: In Baden-Württemberg etwa gibts seit Anfang des Monats kein Überbrückungsgeld mehr, Reise und Transportkosten werden nicht mehr ersetzt. Und auch Bayern hat rigoros im landesspezifischen Leistungskatalog herumgestrichen.

Die SPD-regierten Stadtstaaten Hamburg und Bremen haben bei der Anerkennung von Polen als „deutschstämmig“ deutlich strengere Maßstäbe angelegt. Die SPD-Bundestagsfraktion hat ein „Abschlußgesetz zum Vertriebenengesetz“ beantragt.

Unter den Sozialdemokraten umstritten ist, ob man sich dafür ausspricht, das Übersiedler betreffende sogenannte Aufnahmegesetz aufzuheben und alle damit verbundenen Leistungen einzuschränken.

Einzig die Grünen binden ihre Vorschläge zum Umgang mit dem Aus- und übersiedlerstrom in ein Konzept ein. Sie fordern zwar auch die Aufhebung des Vertriebenenrechts und des Fremdrentengesetzes - allerdings soll statt dessen ein Sozialversicherungsabkommen mit der DDR geschlossen, sollen eingesparte Gelder an die DDR ausbezahlt werden.

Für Aussiedler soll, wie für alle Menschen aus anderen Ländern, eine Einwanderungskonzeption erarbeitet werden.

Ferdos Forudastan