Nachgeklappt: „Der Club der toten Dichter“ im Tivoli

■ Hundert Jahre Erziehung

Wenn wir uns an die eigene Schulzeit erinnern, als wir siebzehn waren und das Leben wie ein Klotz vor uns stand, kommen längst vergessene Szenen ins Gedächtnis: die erste Zigarette im Schulhof, die schwärmerischen Blicke des tollen Typen aus der Parallelklasse. Im Nachhinein erscheint dieses Lebenskapitel rosig vor dem inneren Auge.

So ähnlich muß es auch Drehbuchautor Tom Shulman ergangen sein, als er Der Club der toten Dichter schrieb, die der australische Regisseur Peter Weir verfilmte: goldgelb der „Indian Summer“ im Sonnenlicht, ein Junge fährt mit seinem Fahrrad den Hügel hinunter in einen Schwarm Gänse, und ein einsamer Bagpipe-Spieler steht am nebelverhangenen See und intoniert schermütige Lieder. Der Ort: Irgendwo auf dem nordamerikanischen Kontinent. Die Zeit: Ende der fünfziger Jahre.

„Tradition, Ehre, Disziplin und Leistung“ sind die ehernen Grundsätze des Welton-Instituts für reiche, weiße Schüler. Der Vater wird mit „Sir“ angeredet, die Lehrer sind so steif wie der Lehrplan und das Internatsgebäude atmet den Geruch von hundert Jahren Erziehung. Da muß der neue Englisch -Lehrer Mr. Keating (Robin Williams) wirken wie ein Wesen vom anderen Stern. Er läßt die Eleven auf die Tische steigen, altmodische Vorworte aus Büchern reißen und eigene Gedichte verfassen. „Nutze den Tag“ ist seine Devise und seine Schüler lernen schnell. Schauspieler wollen sie werden, Dichter und Denker. Alles hätte so gut werden können, doch die alte Ordnung ist allgegnwärtig und unerbittlich.

Daß der liberale Aufbruch der Elvis-Generation im Nichts endet, mag Peter Weir als Schwäche ausgelegt werden. Doch der Regisseur wollte kein neues If drehen oder die Tradition der klassischen Internats-Filme fortführen. Weirs amerikanische Kinoarbeit bietet zwei Stunden vorzügliche Unterhaltung, perfekt gefilmt, gut ausgeleuchtet und inhaltlich nachvollziehbar. Eingefleischte Weir-Fans werden aufheulen und an die vergangenen Zeiten sinistrer Filme des Regisseurs erinnern. Doch ein Filmemacher darf sich entwickeln. Jürgen Franck