Der stumme Sänger

■ Am 22.Januar, zum 90.Geburtstag des Sängers, wurde das Ostberliner Ernst-Busch-Haus wiedereröffnet. Die Geschichte des verfemten Künstlers wird jedoch verschwiegen

Jan Rymon

Das Gebäude in der Pankower Leonhard-Frank-Straße 11 ist ein unauffällliger Reihenbau mit Ausblick auf die Internatsgebäude der SED-ParteihochschülerInnen und der städtischen Friedshofsmauer als rückseitiger Grundstücksbegrenzung. Das Einfamilienhäuschen war die letzte Bastion des erst 1980 verstorbenen, aber bereits 1953 von seinen eigenen Genossen ins Aus beförderten Ernst Busch. Er hatte die Wahlschlachten der Weimarer Republik überstanden, das Moskauer Exil und den spanischen Bürgerkrieg. Auch das Nazi-Zuchthaus Brandenburg überlebte er. Aber die Arroganz des Berliner Parteiapparates hatte ihn tödlich verletzt.

Als ich im Dezember zum ersten Mal vor der Haustür stehe, bleibt sie verschlossen, obwohl ich zu einer der in einer Berliner Programmzeitung angegebenen Öffnungszeiten erschienen bin. Von den Nachbarn erfahre ist, das Busch-Haus sei schon seit vielen Monaten geschlossen, “...noch bevor der Ulli rüber ist“. Ullrich Busch, 1964 geborener Sohn von Ernst und Irene Busch, ist 1989 ausgereist. Nun soll ein Verwalter das Haus übernommen haben und zur Wiedereröffnung als Museum vorbereiten.

Bei der Suche nach dem neuen Hausherren überlege ich, daß der Schauspieler Ernst Busch vielen Berlinern bereits Ende der zwanziger Jahre als Mitglied der Piscatorbühne mit Erfolgen wie Tollers Hoppla, wir leben bekannt geworden sein muß oder durch die Dreigroschenoper von Brecht/Weill im Theater am Schiffbauerdamm - um nur zwei der populärsten Stücke zu nennen, an deren Uraufführung er damals mitwirkte. Berühmt in ganz Deutschland wurde er wenig später mit dem Bert-Brecht/Slatan-Dudow-Film Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt. Aber ein Begriff ist mir Busch heute nur als Sänger von Liedern der Internationalen Brigaden. Dabei war Busch über dreißig Jahre lang als Schauspieler ein Star an den Berliner Bühnen, er arbeitete auch als Regisseur und war sogar der erste Plattenverleger mit einer Lizenz der Besatzungsmächte. Auch als Sänger war er durchaus um die Popularisierung des klassischen deutschen Liedgutes bemüht.

Trotz seines klaren politischen Engagements blieb Busch immer eine geachtete Persönlichkeit bei seinen Kollegen. Erwin Burkert, ein intimer Busch-Kenner, TV-Regisseur des Sechsteilers Busch singt und Nachlaßverwalter im heutigen Ernst-Busch-Haus, erinnert sich: „Ernst, der über verschiedene Stationen nach dem Spanienkrieg in die Hände der Gestapo fiel, wurde 1943 der Prozeß wegen Hochverrats gemacht. Gustav Gründgens stellte ihm daraufhin sein Anwaltsbüro zur Verfügung. Zwar konnten die Advokaten Buschs Verurteilung wegen 'Verbreitung des Kommunismus in Europa‘ nicht verhindern, aber die Strafe mildern, das konnten sie. Die offizielle Begründung lautete, daß Busch in Zukunft sowieso nicht mehr fähig sei zu singen - er war während der Untersuchungshaft in Moabit bei einem Bombenangriff im Gesicht verletzt worden. Nach Kriegsende erfuhr Busch, daß der Herr Generalintendant von den Russen ins Lager nach Frankfurt/Oder gebracht worden war. Gemeinsam mit Friedrich Wolf konnte er erreichen, daß Gründgens dort freikam.“

Wie aber wurde aus dieser Künstlerautorität der Kommunistischen Partei eine von der SED über zwanzig Jahre lang nahezu verfemte Person? Erinnert sei in diesem Zusammenhang an Hanns Eisler, Fritz Cremer, Arno Mohr, John Heartfield, Gret Palucca, Bertolt Brecht, Anna Seghers und andere, in deren Biografie es ähnliche Brüche gibt. Erwin Burkert schildert ein Beispiel: „In Vorbereitung der Weltfestspiele '51 in Berlin sollten Schallplatten gemacht werden mit den Nationalhymnen der Teilnehmerstaaten. Und da gab es einen Riesenkrach, weil Busch sagte, die spanische Hymne wäre eine Provokation für die Spanier - er verbreite keinen Ton eines faschistischen Regimes. Schließlich hat er das Polizeiorchester unter Beschimpfungen aus seinem Plattenstudio geschmissen.“ Wen wundert es da, wenn Busch in einem Gutachten der Staatlichen Kommission für Kunstangelegenheiten über die Neupressungen seines Plattenverlags 1953 „extreme Überbetonung der rhythmischen Elemente“ vorgeworfen wird oder eine „unzulässige Veränderung der sowjetischen Original-Harmonisierung“.

Doch nicht nur auf künstlerischem Gebiet kam es zum Eklat. Erwin Burkert: „'53 wurden die Parteiausweise umgetauscht, und so'n junger Schnösel, der in der Kommission Mitte die Kadergespräche führte, wollte von Busch Belege über seine Exilstationen. Er sollte Namen nennen von Leuten, mit denen zusammen er von Moskau nach Madrid gekommen war. Daraufhin hat Busch in einem Wutanfall sein Mitgliedsbuch zerissen.“ Vielleicht aber, hatte er einfach nur Angst: War doch Ernst Busch gemeinsam mit Maria Osten nach Paris gefahren, die später in Stalins Lagern umgebracht wurde, und in Valencia von Ilja Ehrenburg abgeholt worden, der inzwischen bei Stalin in Ungnade war. Plötzlich jedenfalls herrschte Funkstille, Busch wurde den Plattenvertrag los, bekam keine Auftritte mehr... Einzig als Schauspieler in Brechts „Berliner Ensemble“ konnte Busch in den nächsten Jahren arbeiten. Reinhold Andert, Liedermacher aus Ost-Berlin: „Erst '73, als der Ulbricht starb, ist der Hager zum Geburtstag hin zu Busch und überreichte ihm die neue Pappe von Honecker. Ich erinnere mich noch, daß der Ernst ihn fragte, wie das nun mit seinem Parteibeitrag für all die Jahre werden soll, ob er ihn nachbezahlen muß...“ Andert hat '79 einen neuen Text auf das alte Spanienlied von der „Jarama-Front“ geschrieben, in dem er Buschs zwanzigjähriges Schweigen in der Sofaecke gleichsetzte mit seinem kämpferischen Singen an den Schützengräben. Busch gefiel dieses Lied, mit dem einer aus der übernächsten Generation öffentlich machte, was seine eigenen Kampfgefährten still hingenommen hatten.

Doch es blieb das alte Lied, und es gab noch ein Nachspiel. 1980 starb Busch, die Akademie der Künste veranstaltete einen Staatsakt. Auch Honecker meldete sich an. Wenn der teilnahm, mußte das Programm zuvor in sein Büro. Von dort kam es zurück, alles okay, nur Lied Andert fällt raus. Daraufhin erklärte die Gattin des Toten, Irene Busch, dann käme die Familie nicht, denn das Lied sollte auf ausdrücklichen Wunsch von Ernst gesungen werden. Honecker lenkte ein; schließlich konnte er sich ohne die Witwe nicht allein in die erste Reihe setzen. Erstmals gedruckt wurde dieser Text 1989, zehn Jahre nach seiner Niederschrift.

'79 war Andert aus der SED ausgeschlossen worden, seither war seine Situation ähnlich der von Busch zwanzig Jahre vorher. Auch Andert steckte plötzlich in dem Dilemma, abhaun zu dürfen oder die Schnauze zu halten. Und die anderen, die vielen Kollegen im Schriftstellerverband? Die geblieben waren, hatten das Verdrängen spätestens in Folge von Biermanns Ausbürgerung gelernt. Andert: „Die Künstlerverbände wurden von der SED bezahlt. Der Schriftstellerverband zum Beispiel erhielt jährlich zwei Millionen Mark, knapp anderthalb für Gehälter und den Rest für Heime, Reisen und so weiter. Wenn sich einer da nicht anpaßte, flog er raus. Da aber die Verlage, das Fernsehen, der Rundfunk und die Bühnen ebenfalls der Partei unterstanden, funktionierte dieses System nahezu lückenlos. Der Witz ist übrigens jetzt, daß nun die Verbände dabei sind zu überlegen, wo sie Geld herkriegen. Finanzministerin Luft sagt: 'Ihr seid mir Luft.‘ Alles normalisiert sich, zum Kongreß Anfang März gibt's keine Interhotelbetten mehr...“

Und das Haus in Pankow? Am 22.Januar, zum neunzigsten Geburtstag von Ernst Busch, wurde es als Werkstatt des Instituts für Darstellende Kunst der Akademie der Künste der DDR von Akademiepräsident Manfred Welkwerth wieder-eröffnet. Das Ernst-Busch-Haus soll nach seiner Erklärung keine Gedenkstätte werden wie das Becher- oder das Zweighaus. Hier werden künftig Ausstellungen stattfinden, Diskussionen, Jazzabende oder auch ein Kinderfest. Inwiefern es aber ein Ort der Aufarbeitung der Lüge von der Übereinstimmung der Künstler mit der Partei wird, bleibt abzuwarten. Noch wird die Wahrheit in den Ausstellungsräumen mit den bewährten Mitteln verheimlicht. Noch werden heranwachsende Intellektuelle hier keine Antwort auf die Frage finden, warum sich in der DDR jenseits des staatlichen Kulturbetriebes immer wieder eine so dominante Subkunst entwickelt hat. Noch haben die Genossinnen und Genossen am Grab des Sängers hinter der Gartenmauer das Sagen.