Von Quoten, Männern und Juristerei

Frauendiskriminierung im Erwerbsleben: Bundestagsausschuß veranstaltete ExpertInnen-Hearing zu Gesetzentwürfen / Der harten Quote der Grünen geben die meisten Verfassungsrechtler keine Chance / Die softe Version der SPD gilt als rechtlich unbedenklich, ist aber ineffektiv  ■  Von Helga Lukoschat

Für Dr. Otto Flicke aus der Personalabteilung der Mercedes Benz AG ist die Sache klar: eine Quote für Frauen, so dozierte der Mann aus Westdeutschlands größtem Unternehmen, „schmälert die Leistungskraft der deutschen Wirtschaft“. Ein „Motivationsschwund“ der männlichen Mitarbeiter wäre unausweichlich: „Jeder müßte sich ja sagen: Es lohnt sich nicht mehr, sich anzustrengen.“ Mit den Auswahlverfahren seines Konzerns sei das Kriterium Geschlecht ohnehin nicht vereinbar. Da gehe es nämlich um die „Persönlichkeit“. Um was auch sonst? Schließlich ist in den Spitzenpositionen der Wirtschaft die „Persönlichkeit“ zu 98 Prozent ein Mann.

Der Herr war als Experte geladen. Denn der Bundestagsausschuß für Frauen und Familie veranstaltete eine öffentliche Anhörung zu zwei Gesetzentwürfen, die Schluß machen wollen mit der Benachteiligung von Frauen im Erwerbsleben. Zur Debatte stand der Entwurf der SPD zur „Gleichstellung von Mann und Frau im Erwerbsleben“ sowie Teil1 des grünen Antidiskriminierungsgesetzes (ADG).

Naturgemäß war auf dem Hearing die Gilde der JuristInnen am stärksten vertreten, kurz gefolgt von den hauptberuflichen Frauenbeauftragten aus Kommunen und Ländern. Die Gleichstellungsfrauen Maria Böhmer aus Rheinland-Pfalz und Orla-Maria Fels aus Baden-Württemberg schafften es dabei, in ihren Stellungnahmen die Gesetzentwürfe glatt rechts liegen zu lassen. Mit der Begründung, Gesetze allein reichten nicht aus, beteten sie den allseits bekannten Forderungskatalog einer unverbindlichen Frauenförderung herunter. Wenn Gesetze, so gaben sie zu verstehen, dann bitte nur die „softe“ Version der SPD. Mit den harten Quoten der Grünen wollten sie sich ganz und gar nicht anfreunden.

Noch jemand hatte für Quoten überhaupt nichts übrig: Verfassungsrechtler Michael Sachs erklärte das grüne ADG schlankweg für verfassungwidrig. Das Grundgesetz wolle „individuelle Chancengleichheit“ und „keinen Gruppenproporz“, argumentierte der jung-dynamische Professor aus Augsburg. Das Quotierungsgesetz des ADG verletze zudem den Artikel 33GG, der den Zugang zum öffentlichen Dienst strikt nach dem Leistungsprinzip regele. Sachs verstieg sich sogar dazu, die Fünfzigprozentquote der Grünen mit dem „Arierparagraphen“ der Nationalsozialisten zu vergleichen. Gesetz ohne Biß

Auch der Verfassungsrechtler Ulrich Battis gab dem ADG „nicht die geringste Chance, einer verfassungsrechtlichen Prüfung standzuhalten“. Gute Aussichten vor den Gerichten räumte der Hochschullehrer aus Hagen dagegen dem Gleichstellungsgesetz der SPD ein. Kein Wunder: Dem Gesetzentwurf der SozialdemokratInnen fehlt der Biß. Im Gegensatz zum grünen ADG wird lediglich der öffentliche Dienst zu einer verbindlichen Frauenförderung verpflichtet. Dabei sollen Frauen bei gleichwertiger „Eignung, Befähigung und Leistung“ solange bei Einstellung und Beförderung „bevorzugt berücksichtigt“ werden, bis sie zu 50 Prozent in allen Laufbahnen und Funktionen vertreten sind. Klaus Bertelsmann, Arbeitsrechtler aus Hamburg und langjähriger Mitarbeiter der dortigen Gleichstellungsstelle, urteilte deshalb seinerseits hart über den SPD-Entwurf: „Hier werden die Gewichte nur etwas zugunsten der Frauen verschoben.“ Von einer echten Quote könne keine Rede sein.

Eben aus diesem Grund dürfte der SPD-Entwurf - so zeichnete es sich auch auf dem Hearing ab - breite Zustimmung erfahren. Es wird etwas getan, aber es wird niemandem wehgetan. Und es gibt Fortschritte. So wird das sogenannte EG-Anpassungsgesetz abgeschafft. Auf Druck der EG war das Gleichbehandlungsgesetz 1980 von der damaligen SPD/FDP -Koalition verabschiedet worden. Es enthält keine genauere Beschreibung der Diskriminierungstatbestände und keinerlei Sanktionen für Arbeitgeber. Nun formulierten die SozialdemokratInnen in ihrem Gleichstellungsgesetz für alle arbeits- und dienstrechtlichen Maßnahmen und Vereinbarungen ein umfassendes Benachteiligungsverbot. Ausdrücklich wird das Recht auf gleichen Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit festgeschrieben. Frauen können ihre Gleichbehandlung einklagen; anders als im „EG-Anpassungsgesetz“ wird aber jetzt die Beweislast den ArbeitgeberInnen auferlegt. Weiter werden die Schadensersatzansprüche neu geregelt, und ArbeitgeberInnen und Dienstherren drohen empfindliche Geldbußen bei Verstößen. Streitpunkt Qualifikation

Hinter dem grünen ADG bleiben die Vorstellungen der Sozialdemokratinnen dennoch zurück. Dort ist ergänzend zu dem umfassenden Diskriminierungsverbot eine rechtsverbindliche Fünfzigprozentmindestquote für Frauen vorgesehen, und zwar für alle Erwerbs- und Ausbildungsplätze. Das heißt, das Recht auf Bevorzugung soll gerichtlich einklagbar sein. Als Voraussetzung für Einstellung und Beförderung gilt die formale Qualifikation, also der entsprechende Schul-, Hochschul- oder Berufsausbildungsabschluß. Damit zogen die Grünen Konsequenzen aus den bisherigen Erfahrungen mit Frauenförderrichtlinien. Exemplarisch in der Männerdomäne Hochschule zeigte sich, wie der interpretationsfähige Begriff der Qualifikation zum Instrument wurde, Frauen erneut abzuweisen.

Aber eben aus dieser Mindestvoraussetzung formale Qualifikation drehen Verfassungrechtler wie Battis den Grünen einen Strick. Nach Artikel 33GG soll es im öffentlichen Dienst nicht nach formalen Kriterien, sondern nach „Eignung, Befähigung und Leistung“ gehen. Auch Klaus Bertelsmann befürchtete, daß angesichts der herrschenden Rechtsprechung der Entwurf der Grünen vor den bundesdeutschen Gerichten keinen Bestand haben könnte. Eine Entwicklung, die er ausdrücklich bedauerte. Ähnliches klang bei Renate Schmidt von der SPD an. Sie ließ durchblicken, daß ihr persönlich der Entwurf der eigenen Partei gleichfalls nicht weit genug gehe. Gleichzeitig aber erklärte die Frauenpolitikerin, sie wolle es nicht zulassen, daß ein Gleichstellungsgesetz vom erstbesten Gericht „einkassiert“ wird. Das Benda-Schwänzchen

Leider mußte Vera Slupik, Juristin aus Hamburg und frühere 'Emma'-Mitarbeiterin, ihre Teilnahme absagen. So fehlte auf dem Hearing eine feministische Stimme, die auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten den Entwurf der Grünen verteidigt hätte. Denn nach Slupik wird in der bisherigen Diskussion die herausragende Bedeutung des Artikels3,2GG verkannt: „Allein eine Bezugnahme auf diesen Gleichberechtigungsgrundsatz könnte eine Bevorzugung von Frauen verfassungsrechtlich legitimieren“, schrieb die engagierte Juristin in einer Stellungnahme zum sogenannten Benda-Gutachten. Dort hatte der CDU-Politiker und ehemalige Verfassungsrichter festgestellt, daß der Staat gleichqualifizierte Frauen gegenüber Männern bevorzugen darf. Allerdings mit der Einschränkung, daß bei gewichtigen Gründen Ausnahmen zugunsten der Männer gemacht werden können. Die sogenannte Einzelfallgerechtigkeit - von Feministinnen spöttisch als „Benda-Schwänzchen“ tituliert wurde im Gesetz der SPD nur indirekt aufgenommen. Was auf dem Hearing auch prompt bemängelt wurde. Battis verwies auf das Vorbild Nordrhein-Westfalen, das als erstes Bundesland ein Frauenfördergesetz verabschiedet hat. In dem dortigen Gesetz sind Frauen nämlich nur dann zu bevorzugen, wenn „nicht in der Person des Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen“. Damit können Dienst- und Lebensalter, Familienstand und andere soziale Gründe dann doch den Ausschlag für den männlichen Bewerber geben. Battis räumte denn auch ein, daß der SPD-Entwurf ebenso wie das NRW-Gesetz „Umgehungsstrategien“ offen lasse. So sei nun mal die Realität: „Auch Verkehrsregeln werden nicht beachtet“, erinnerte der Rechtsprofessor sein verblüfftes Publikum.

Konkret haben diese Debatten für die Bundesgesetzgebung in dieser Legislaturperiode allerdings keine Bedeutung mehr. Von der Koalitionsregierung ist in punkto gesetzlich geregelter Frauenförderung nichts zu erwarten. Im Gegenteil: Ein Entwurf des Arbeitsministeriums zum EG-Anpassungsgesetz enthält sogar noch Verschlechterungen zur heutigen Rechtslage: Zum einem soll eine Höchstgrenze für Schadensersatzansprüche festgelegt werden. Zum anderen soll bei einer Klage der Frau der Gerichtsort nicht mehr der Wohnort der Klägerin sondern der Sitz des Unternehmens sein. Damit würde das Klagerecht dann endgültig zur Farce. Denn schon in den vergangenen Jahren entschieden sich nur zehn Frauen dafür, für ihr Recht vor Gericht zu ziehen.