Feuergefechte in Kosovo

Protestkundgebungen und Zusammenstöße beherrschen einmal mehr die jugoslawische Provinz Kosovo / Mehrere Tote  ■  Von Roland Hofwiler

Wien (taz) - Im Süden Jugoslawiens wird seit Freitag wieder scharf geschossen. Radio Pristina meldete gestern, bei Zusammenstößen mit Spezialeinheiten der Polizei seien in den letzten Tagen sechs albanische „Terroristen“ ums Leben gekommen. Allein vier Terroristen habe man in Urosevac überwältigt, als sie aus dem Hinterhalt das Feuer auf eine Polizeistreife eröffneten, jeweils ein Todesfall sei bei nichtgenehmigten Demonstrationen in Pec und Pristina zu beklagen gewesen.

Exilalbanischen Kreisen in Paris und Brüssel zufolge liegt die Zahl der Toten bei weitem höher als offiziell eingestanden. Danach halten spontane Protestkundgebungen seit bereits vier Tagen in weiten Teilen Kosovos unvermindert an. Die Lage ist auch in Titovo Mitrovica, in Zhur und in unzähligen kleinen Dörfern äußerst angespannt, nachdem es zu zahlreichen Schwerverletzten und vereinzelten Toten gekommen sein soll, als die albanische Bevölkerung einen Aufruf von Intellektuellen befolgte, die zum Zeichen des Protestes zum Fernbleiben von der Arbeit und zum Boykott des Schulunterrichts aufgerufen hatten.

Hintergrund des breiten Volksprotestes bilden die rasanten Veränderungen in Osteuropa sowie das Fiasko der alleinherrschenden KP auf dem Belgrader Parteitag letzter Woche. Bekanntlich herrscht seit März letzten Jahres in Kosovo der Ausnahmezustand, einmal schärfer, einmal etwas lockerer gehandhabt. So waren zum Beispiel gestern die Zufahrtswege in die Provinzhauptstadt Pristina von paramilitärischen Einheiten blockiert, das Stadtzentrum großräumig abgeriegelt und zeitweilig die Telefonverbindungen unterbrochen - Maßnahmen, die zum Alltag in Kosovo gehören, die Bevölkerung jedoch immer wieder in Wut versetzen. Denn die Belgrader Zentralregierung steckt seit Jahren Hunderte Albaner als vermeintliche „Konterrevolutionäre“ hinter Gittern, da diese mit ihren politischen Forderungen „nur den Sozialismus untergraben wollen“, wie es offiziell heißt, und ein Großalbanien anstrebten.

Seitdem jedoch das Brandenburger Tor aufging und Ceausescu stürzte, fordern auch die Albaner größere Freizügigkeit und mehr nationale Rechte. Unterstützung erhalten sie zunehmend aus Slowenien.