: Ansturm auf Rumäniens Frauenkliniken
Nach der Aufhebung des Abtreibungsverbots: Hunderte Frauen drängen in die Krankenhäuser ■ Von Ulrike Helwerth
Seitdem Ceausescu tot ist und seine unmenschlichen Gesetze aufgehoben sind, melden sich rund 600 Frauen täglich in den Krankenhäusern von Bukarest - zur Abtreibung. Die Kliniken sind heillos überfüllt, oft teilen sich zwei Frauen ein Bett. Die sanitären Anlagen sind katastrophal, die Operationstische verdreckt, Narkose gibt es nicht oder nur unzureichend. Unerträgliche Verhältnisse - und doch erscheinen sie unvergleichlich viel besser als früher.
Der Diktator hatte viele Obsessionen. Eine war, die Geburtenrate seiner Untertanen um jeden Preis zu steigern. Seit den 70er Jahren ließ er durch seine Geheimpolizei eine Kampagne betreiben, die Tausende von Müttern und Kindern das Leben gekostet hat: Abtreibung war strengstens verboten, die Benutzung von Verhütungsmitteln untersagt. Alles Erdenkliche wurde getan, um illegale Abtreibungen zu verhindern. Frauen im gebärfähigen Alter mußten alle drei Monate „zur Kontrolle“ zum Arzt. Unangemeldet erschienen Gynäkologen zur Gebärmutterinspektion in Betrieben und Büros. Der Vorwand lautete: „Vorbeugung von Gebärmutterkrebs“. Schwangere Frauen wurden registriert. Bei jeder ärztlichen Behandlung, sogar beim Zahnarzt, mußten Frauen eine Bescheinigung des Gynäkologen vorlegen, und selbst bei der Führerscheinprüfung wurde sie verlangt. Auf Abtreibung standen drakonische Strafen: Mindestens drei Monatslöhne und bis zu sieben Jahre Gefängnis, für ÄrztInnen das Berufsverbot. Trotzdem soll so ärztliche Angaben - die Zahl der illegalen Abbrüche wegen der dramatischen wirtschaftlichen Situation in den letzten Jahren stark gestiegen sein.
Viele Frauen mußten unter großen Gefahren ihre Schwangerschaft heimlich unterbrechen. Viele starben bei den EngelmacherInnen oder nach der Benutzung brutaler Hausmittel, wie Einführung zerriebener Kernseife oder Plastikschläuche und Rundstricknadeln in die Gebärmutter. Viele kamen mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Krankenhaus. Dort gab es „Verhörspezialisten“ von der Securitate, gekleidet wie Ärzte in weißen Kitteln, die nach der Einlieferung von den Frauen die Namen ihrer „Abtreibungshilfe“ verlangten. Weigerten sich die Patientinnen, wurden sie nicht behandelt - und starben. Allein in der „Polizu-Klinik“ für Gynäkologie in Bukarest kamen jährlich 40 Frauen zu Tode, die sich EngelmacherInnen anvertraut hatten. In der Provinz war die Zahl der Toten weitaus höher.
Aber auch die FrauenärztInnen wurden streng überwacht. Jeden Monat kontrollierte die Polizei die PatientInnenkartei des Krankenhauses. Die ÄrztInnen mußten außerdem jede Minute ihrer Tätigkeit genau aufschreiben. Auf diese Weise konnte sich kein illegaler Abbruch zwischen zwei zeitlich genau kontrollierte Operationen einschleichen. „Wir wußten, daß wir höchstens 10 Minuten bei einem vorher zeitlich festgelegten Eingriff überziehen konnten. Wenn wir länger brauchten, machten wir uns sofort verdächtig“, erzählt Alexandru Ciolan, Arzt an einer Bukarester Frauenklinik. Einer seiner Kollegen wurde letztes Jahr wegen illegaler Abtreibung verhaftet.
Auch zahlreiche Neugeborene mußten sterben, weil in den Wöchnerinnenstationen der Strom abgestellt wurde, um Energie zu sparen. Viele Mütter, die sich unter falschem Namen im Krankenhaus hatten eintragen lassen, flüchteten nach der Entbindung, weil sie ein weiteres Kind nicht verkraften konnten. Die Kinderheime und Waisenhäuser waren überfüllt. Oft wurde kaum oder überhaupt keine Babynahrung vom Regime geliefert, Säuglinge starben an Unterernährung. Kürzlich zeigte das bundesdeutsche Fernsehen Bilder aus einem dieser Heime in Temeswar, die an Biafra erinnerten.
Wer es trotz fehlender Verhütungsmittel schaffte, keine Kinder in die Welt zu setzen, wurde auch bestraft: Frauen, die mit 25 Jahren noch kinderlos waren, wurde jeden Monat 15 Prozent von ihrem Gehalt abgezogen.
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