Rechenakrobatik statt Rüstungskürzungen

Der neue Rüstungsetat der Bush-Administration für 1991 zielt mehr auf Umrüstung als auf Abrüstung / „Friedensdividende“ nur eine Traumvorstellung der Opposition / Weltpolizeiliche Ausrichtung der US-Armee wird von keiner politischen Kraft in den USA in Frage gestellt  ■  Aus Washington Rolf Paasch

Es hat sie historisch in den USA nie gegeben, doch alle suchen sie wieder danach. Die Rede ist von der „peace dividend“, dem im Falle militärischer Abrüstung eigentlich anfallenden Budgetüberschuß. Mit dem von US-Präsident George Bush heute im Rahmen des Gesamthaushalts vorgestellten Rüstungsbudget für das Jahr 1991 wird die Debatte über jene „Friedensdividende“ ihren vorläufigen Höhepunkt erreichen. Schon seit Wochen versuchen die verschiedenen Interessen aus Politik und militärisch-industriellem Komplex die Diskussion über die angeblich freiwerdenden Rüstungsgelder mit „ihren Zahlen“ in die richtigen Bahnen zu lenken.

Während alle nicht-militärischen Lobbies in Washington einer Ausgabeneuphorie anheimgefallen sind und sich bereits Gefechte über die Verteilung der Rüstungsdollars liefern, warnte Bushs Budgetdirektor Richard Darman am Wochenende vor solchen Ausflügen ins „Wunderland“. Die Einsparungen im Militärhaushalt werden weitaus geringer sein als erwartet. Schon ein kurzer Blick auf den für 1991 vorgeschlagenen 303 Mio. Dollar schweren Rüstungshaushalt, das sind inflationsbereinigt zwei Prozent weniger als im Etat für 1990, zeigt, welche Seite hier Recht behalten wird. Indem die Bush-Administration sämtliche Reduktionen auf vorher projektierte Steigerungsraten bezieht und gleichzeitig eine im Hochtechnologiebereich angeblich grassierende Inflationsrate von acht Prozent zugrundelegt, können selbst Ausgabenerhöhungen noch als drastische Einsparungen verkauft werden.

Beispiel: Die in der US-Presse immer wieder auftauchende Zahl von jährlichen Kürzungen in Höhe von 15 Mrd. Dollar wird zwar in den nächsten vier Jahren einen nominal um 30 Prozent gewachsenen Rüstungsetat von 390 Mrd. Dollar ergeben - das dürfte Verteidigungsminister Cheney allerdings nicht davon abhalten, hier von Einsparungen von 60 Mrd.Dollar zu reden.

Dem Budgetvorschlag zufolge sollen die US-Streitkräfte in Europa um mindestens 50.000 Soldaten gekürzt werden. Da diese GIs wohl die schwächste Lobby des gesamten US -Militärapparates besitzen, werden sie wohl auch wirklich den Heimweg antreten müssen. Doch schon die geplante Schließung von 100 Militärstützpunkten in den USA ist problematisch. Weil die meisten der rund 6.000 Stützpunkte auf heimischem Boden seit Dekaden nur militärisch getarnte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen darstellen, werden die Abgeordneten selbst jede strategisch überflüssige Wachhütte bis zum letzten verteidigen. Noch waren die Namen der zu schließenden Stützpunkte nicht bekannt, da rasten am Wochenende auch solche Demokraten zur Verteidigung der lokalen Basen in ihren Wahlkreis, die zuvor die Kürzungspläne als zu zaghaft kritisiert hatten.

Zaghaft sind die Kürzungsvorschläge denn auch, wenn es an die größeren Raketenprogramme oder Beschaffungsprogramme der nächsten Waffengeneration geht. Sowohl die mobilen „MX“ und „Midgetman„-Atomraketen, wie auch der 500 Millionen Dollar schwere, aber unsichtbare B-2 Stealth-Bomber überlebten die erste Attacke der Abrüstungsbefürworter nahezu unbeschädigt. Die Forschungsmittel für Ronald Reagans Sternenkrieg, die „Strategische Verteidigungsinitiative“ (SDI), wurden gar um 30 Prozent auf 4,8 Mrd. Dollar aufgestockt. Und sämtliche Entscheidungen über die weitere Zukunft von High-Tech -Flugzeugprogrammen wie dem Stealth-Bomber (71 Mrd. DM) und dem „Advanced Tactical Fighter“ (45 Mrd.Dollar der Luftwaffe) wurden erst einmal verschoben. Gespart wird 1991 lediglich bei dem M-1-Panzer und dem F-15 Kampfflugzeug.

Mit ihrem Budgetvorschlag hat die Bush-Administration mittlerweile selbst solche Kalten Krieger, wie den als „Prince of Darkness“ bekannten Reagan-Berater Richard Perle, links liegen gelassen. Perle hatte bei einer Anhörung des Kongresses zur sowjetischen Bedrohung am vergangenen Mittwoch einen Verzicht auf die mobilen Interkontinentalraketen MX und Midgetman vorgeschlagen und bereits im Dezember vor der rechten „Heritage Foundation“ die Auflösung der Nato vorhergesagt.

Die Bush-Administration scheint diesen Rüstungsetat für 1991 denn auch weniger als Auftakt zu einer drastischen Abrüstung zu begreifen als als einen ersten Schritt zur Umrüstung der US-Streikräfte für Einsätze a la Panama. Das Pentagon-Budget für 1991, so der Stratege Bush, „beginnt eine Übergangsphase zu einer restrukturierten Militärstreitmacht, einer flexibleren Strategie, die mehr auf Einsätze außerhalb Europas ausgerichtet ist, ohne unsere unverzichtbar Verantwortung gegenüber der Nato und unsere Rolle bei der Gewährleistung eines globalen Gleichgewichts aufzugeben.“ Wenn Bush demnächst, wie angekündigt, seine konkreten Pläne zur längerfristigen Umgestaltung der amerikanischen „Verteidigung“ vorlegen wird, dann ist nach den Reaktionen auf seinen Budgetentwurf schon eines klar: Trotz der politischen Auseinandersetzungen über Kürzungen im Pentagon-Haushalt und die Verteilung einer vermutliche fiktiven „Friedensdividende“ gibt es in den USA derzeit keine politische Kraft, welche die von der Bush -Administration geplante geo-polizeiliche Ausrichtung der US -Streitkräfte in Frage stellt.