USA: Neue Atomwaffen für die Nato

Pentagon will umfassende Modernisierung - ungeachtet der Entwicklungen in Osteuropa / Mittelkürzung im US-Budget nicht für Kurzstrecken-Atomraketen / Erschwerung der Rüstungskontrolle eingeplant: Neue Raketenwerfer von alten nicht zu unterscheiden  ■  Von Andreas Zumach

Die Administration in Washington geht davon aus, daß die „Modernisierung“ des atomaren Waffenpotentials der Nato in Westeuropa weiterhin notwendig ist - ungeachtet der Veränderungen in Osteuropa. Der Etatentwurf für das am 1.Oktober beginnende Haushaltsjahr 1991, den Präsident Bush heute morgen dem US-Kongreß zuleitet, enthält die Mittelansätze für die neuen atomaren Waffensysteme ohne jede Einschränkung oder Sperrvermerke. Das Pentagon hat entschieden, den Mehrfachraketenwerfer (MLRS) nicht unterscheidbar von bereits in Westeuropa stationierten, konventionell bestückten MLRS zu machen. Der neue MLRS war als Abschußgerät für die Nachfolgerakete der atomaren Lance vorgesehenen. Aus jetzt veröffentlichten Protokollen der Streitkräfteausschüsse des US-Kongresses geht hervor, daß Informationen, die bereits 1988/89 durchgesickert waren, sämtlich zutreffen. Stückzahlplanungen und Reichweite der neuen Atomwaffen waren damals bekanntgeworden und die Tatsache, daß die neuen Waffen die unter dem INF-Vertrag wegfallenden Pershing II und Cruise Missiles kompensieren sollten.

Bushs Etatentwurf für das Pentagon enthält zahlreiche Mittelkürzungen: So sollen 100 US-Militärstützpunkte im In und Ausland geschlossen werden, 50.000 Arbeitsplätze sollen eingespart oder verschoben werden, die Reduzierung oder völlige Streichung ganzer Waffenprogramme insbesondere im strategischen Bereich ist geplant. Doch die Haushaltsansätze für die neuen Atomwaffen in Westeuropa entsprechen voll den zu Beginn der Waffenprogramme vorgelegten finanziellen Rahmenplanungen. Vorgesehen sind - im dritten, beziehungsweise zweiten aufeinanderfolgenden Haushaltsjahr Mittel für Forschung, Entwicklung und Tests der Lance -Nachfolgerakete und einer flugzeuggestützten Abstandswaffe sowie Gelder für die Herstellung weiterer Artilleriegranaten vom Kaliber 155 Millimeter. Der Beginn ihrer Stationierung in der Bundesrepublik war ursprünglich für August 1990 geplant. Mit Rücksicht auf die Bundestagswahlen im Dezember verschob das Pentagon den Stationierungsbeginn auf Januar 1991.

In einem Hearing vor dem Beschaffungsausschuß des Streitkräfteausschusses im US-Repräsentantenhaus am 16.März 1989 erklärten US-General Yates und andere Pentagonvertreter, daß die Beschaffung von 1.000 atomaren Lance-Nachfolgeraketen vorgesehen ist. Die Bonner Bundesregierung hatte bislang - unter anderem im Unterausschuß Abrüstung des Bundestages - immer behauptet, daß im Falle einer „Modernisierung“ eine Erhöhung der von ihr mit 600 angegebenen Zahl der alten Lance-Raketen in Westeuropa nicht in Frage komme. In dem Hearing vom 16.März sowie weiteren Kongreßanhörungen zum Pentagonbudget 1990 bestätigten hohe US-Militärs auch erstmals offiziell die für die Lance-Nachfolgerakete angestrebte Reichweite von 490 Kilometern, knapp unter der Untergrenze des INF-Vertrages von 500 Kilometern. Außerdem wird aus den Anhörungen deutlich, daß eine auf Flugzeugen in der BRD und Großbritannien gestützte atomare Abstandswaffe, gegen die bislang keinerlei Bedenken der Bundesregierung laut geworden sind, höchste Priorität beim Pentagon wie auch beim Nato -Oberkommandierenden General Galvin hat. Die Entscheidung für ein konkretes System, die SRAM-T, ist gefallen. Zunächst sollen 450 Exemplare produziert werden. Während Bonn die maximale Reichweite dieser Abstandswaffe mit 450 Kilometern angibt, hält das Pentagon diese Information geheim. In Vorstudien zur Entwicklung dieser neuen Waffengattung war von Reichweiten bis 1.500 Kilometern die Rede. Auf Fragen des Abgeordneten Ron Dellums erklärte General Yates vor dem Streitkräfteausschuß, daß es bei der Modernisierung“ darum gehe, „mit dem INF-Vertrag aufgegebene militärische Fähigkeiten wiederherzustellen“. Yates: „Die zu attackierenden Ziele sind nach wie vor vorhanden.“