Relikte einer Sozialismusdebatte

■ Vor allem West-Publikum wollte in der Humboldt-Universität Mandel, Ditfurth et.al. hören

Als „kulturelles Experiment“ war sie angekündigt, die Ost -West-Diskussion darüber, ob nun der Sozialismus „ein Relikt des 19. Jahrhunderts oder eine bleibende Utopie“ ist. Doch die Revolutionäre der „Hauptstadt“ waren offenbar nicht rechtzeitig von der Grünen Woche im Westteil Berlins zurückgekehrt. Im Audimax der Humboldt-Universität war am Freitag abend, wie Moderator Hannes Wendt per Handaufheben feststellen ließ, nur jeder fünfte der rund 400 Zuhörer Einheimischer.

Auch auf der östlichen Seite des Podiums war das Scheitern des „kulturellen Experiments“ vorprogrammiert: Von dem hochgelobten Forschungsprojekt „Moderner Sozialismus“ an der Humboldt-Universität war niemand erschienen. Die Gruppe ist, wie man hört, genauso in Auflösung begriffen wie die ganze SED-PDS. Statt dessen traten auf: Wolfgang Harich, SED -Dissident aus den Fünzigern, der sich als „grüner Kommunist“ vorstellte und mit seiner Utopie eines „wiedervereinigten rot-grünen Deutschlands“ kaum ernstgenommen wurde. SED-Mann Michael Schumann, der außer der „antifaschistischen Grundeinstellung“ der DDR-Zöglinge, „die man nicht verspielen kann“, wenig zum Thema beizutragen hatte. Laurenz Demps von der Humboldt-Universität, der resigniert „Bauernland in Junkerhand“ prognostizierte. Und schließlich Herbert Misslitz von der ach so zersplitterten „Vereinigten Linken“, der eine „riesige Gefahr“ in der Auflösung der SED-PDS sah, weil sie doch „als einzige Massenpartei für die Erhaltung der DDR eintritt“. Keine Debatte unter den DDR-Diskutanten, keine mit ihnen.

Der Rest war (West-)Theater, nach der fünfzigsten Vorstellung, wenn die Schauspieler schon keine Lust mehr haben. Ernest Mandel dozierte mit bohrendem Zeigefinger seine Thesen: daß „dem Sozialismus die Zukunft gehört“, daß „die reale Bewegung breiter ist als je zuvor“. Jutta Ditfurth fand das immerhin „zu glorifizierend“, dennoch: Auch nach dem Sieg des Kapitalismus sei Europa eher das „ruhige Zentrum des Taifuns“ - der Hunger wird in die Dritte Welt exportiert. Und dann wurde es akademisch: Wolfgang Fritz Haug (FU Berlin) reklamierte das Taifun-Zitat als sein eigenes und konstatierte: „Ein Taifun kann nicht scheitern.“ Der Kapitalismus sei schließlich ein System, und nicht - wie der Sozialismus - ein Projekt mit moralischem Anspruch. Man kannte sich, man piesackte sich. Erfrischend allein Johannes Agnoli, der das Verwirrspiel lächelnd weitertrieb: Warum denn über die Existenz des Sozialismus streiten, wenn doch „in Frankreich, Italien und Spanien Sozialisten in der Regierung sitzen“. Und wenn „in Italien die Jesuiten auf die Kommunisten setzen“. Aber das hier war eben eine protestantische Veranstaltung.

Michael Rediske