Schönberg muß erst noch aufwachen

Der Giftmüllexport in die Deponie Schönberg ist für die Bewohner des DDR-Städtchens ein eher randständiges Thema / Die Demonstrationen gegen den Müllimport werden unterstützt, den Rat der Stadt plagt aber mehr die Versorgungslage mit Bier und Korn  ■  Aus Schönberg Kai Fabig

„Die Stadt wacht langsam auf“, beschreibt Christian Arndt vom Neuen Forum in Schönberg die Stimmung unter den 5.000 EinwohnerInnen des mecklenburgischen Ortes, der Europas größter Haus- und Giftmülldeponie den Namen gegeben hat. Die Betonung muß auf „langsam“ liegen. Denn während 300 bis 400 DemonstrantInnen - gut zwei Drittel von ihnen aus dem Westen - am Samstag vom Grenzübergang Lübeck-Schlutup zur Müllhalde marschieren, findet sich in Schönberg selbst kaum ein Hinweis darauf, daß diese Stadt das Klo des Westens ist. Aus den Fenstern gehängte Transparente oder Parolen Fehlanzeige. Auch am runden Tisch der Stadt wird das Thema Müllimport eher am Rande behandelt. Die am Rathaus ausgehängten Sitzungsprotokolle verweisen zwar auf eine mehrheitliche Unterstützung für die Demonstration, aber die Rathausrunde beschäftigt sich mehr mit zwei anderen Problemen.

Die CDU, die den Bürgermeister stellt (der bei der Demonstration mitmarschiert), sorgt sich um die Versorgung der Bevölkerung mit Bier und Korn. Offensichtlich hat es auch besonders die Schönberger KellnerInnen in den Westen gezogen. Dokumentiert wird dies durch die Stellenangebote in den Fenstern der Kneipen. Und dann ist da die völlig neue Verkehrssituation. Seit Öffnung der Grenzen wird das beschauliche Städtchen, das bisher ohne Zebrastreifen und Ampeln auskam, von endlosen Fahrzeugkolonnen heimgesucht. Auf dem Kopfsteinpflaster, wo früher die Schönberger Trabis und Wartburgs praktisch unter sich waren, rappelt es jetzt ununterbrochen.

„Wenn jetzt auch noch die Mülllaster aus Berlin hier durchknallen, wachen die Leute vielleicht endlich richtig auf“, ist Christian Arndts stille Hoffnung nach der Schließung der Deponien in Vorketzin und Schöneiche. Denn bisher haben die SchönbergerInnen von den Müllimporten bei sich nur wenig mitbekommen. Sie durften nur mit Sondergenehmigung zu der im Sperrgebiet gelegenen Deponie. Die Müllaster kamen nur dann durch den Ort, wenn sie wegen Demonstrationen an der Grenze umgeleitet wurden.

Natürlich ist Arndt nicht wirklich für eine Umleitung des Berliner Drecks. Schließlich ist die Forderung der DemonstrantInnen ein „sofortiger und unwiderruflicher Stopp“ aller Müllimporte. Ein Deponiearbeiter, der damit beschäftigt ist, den vom Orkan verwehten Müll einzusammeln, hält das ganz pragmatisch für „Quatsch“. „Wenn wir hier tatsächlich auf einer Zeitbombe sitzen, dann brauchen wir erst recht das Geld aus dem Westen“, sagt der Malocher. Allein die Anlage zur Aufbereitung des Sickerwassers sei so teuer gewesen, daß jetzt „ein Liter Wasser mehr kostet als ein Liter Sekt“.

Eine völlige Schließung der Müllhalde kommt für den Arbeiter schon gar nicht in Frage. „Wir können doch nicht die einzige ordentliche Deponie im Land zumachen“, verteidigt er seinen Arbeitsplatz. Um den muß er sich aber wahrscheinlich gar keine Sorgen machen. Zwar fordern die DemonstrantInnen die Schließung der Deponie, aber nicht „sofort und unwiderruflich“. Die DDR-UmweltschützerInnen wollen vielmehr ein unabhängiges Gutachten und die Offenlegung aller Deponiedaten. Perspektive: DDR-Müll nach Schönberg. Dann würden die Laster allerdings mit Sicherheit durch die schmale, geschwungene Hauptstraße des Ortes rattern.