Bald gesamtdeutscher „grüner runder Tisch“?

Großes Interesse am ersten deutsch-deutschen Umwelttreffen in West-Berlin / Die 1.500 Teilnehmer verlangten Vetorecht in beiden Deutschländern am „grünen runden Tisch“ und die Stillegung der gesamtdeutschen AKWs / Nächster Kongreß vom 6. bis 8.April in Leipzig  ■  Aus Berlin Ute Scheub

Wandervögel in grünen Knickerbockern neben den Vertretern der Bonner Grünen, industriekritische junge Radlerinnen aus der DDR neben der Frau eines bekannten Altnazis - ein breites Spektrum von 1.500 Teilnehmern, davon 90 Prozent aus der DDR, war dem Ruf des „Deutschen Naturschutzrings“ zum ersten deutsch-deutschen Umwelttreffen in West-Berlin gefolgt. Die Organisatoren hatten eigentlich nur mit 500 Interessenten gerechnet und freuten sich über „die außerordentliche Resonanz“, die gleichzeitig ein Zeichen der Beunruhigung vieler DDR-Basisgruppen über Zustand und Zukunft ihres Landes war. Die 23 Arbeitsgruppen platzten aus allen Nähten. Wohl angesichts des kommenden Zustroms von BRD -Kapital und -Touristenmassen fanden die AGs „ökologisches Wirtschaften“, „Arten- und Biotopschutz“ oder „Tourismus und Naturschutz“ besonderes Interesse.

So stießen denn auch die Aufrufe zur sofortigen Abschaffung der „kommunistischen Planwirtschaft“, die Naturschutzring -Präsident Prof. Wolfgang Engelhard in seiner Eröffnungsrede losließ, keinswegs auf ungeteilte Resonanz. Seine rassistisch eingefärbte Forderung, „die Natur vor den Sowjetmenschen zu schützen“, verursachte Unruhe und Zwischenrufe.

Hubert Weinzierl, Chef des „Bundes für Umwelt und Naturschutz“, fand da schon eher den gefragten Ton. Er verlangte nach der „ökologischen Weltrevolution“, die den „Krieg gegen die Schöpfung“ endlich beenden müsse. Und er warnte davor, daß die herrschende Technologiegläubigkeit und Umweltphilosophie nun auch in die DDR exportiert werde: „Erst Wachstum, dann Reparatur“. Im letzten Jahrzehnt hätten sich hierzulande das Umweltbewußtsein, aber auch die Müll und Pestizidherstellung verdoppelt.

„Helfen Sie uns, daß keine Umweltdreck-Produktion von der BRD in die DDR verlagert wird und wir kein Massendomizil für Billigtourismus werden“, rief auch Dr. Wolf Caspar von der DDR-staatlichen „Gesellschaft für Natur und Umwelt“ aus. Die Umwelt in der DDR sei in „katastrophalem Zustand“. Ein Drittel aller Vogel- und Pflanzenarten sei gefährdet, aber nur 0,3 Prozent des Bruttosozialprodukts würden für ökologische Investitionen ausgegeben - übrigens etwa gleich viel wie bei uns.

Auch in anderen Punkten war der deutsch-deutsche runde Tisch sich durchaus bewußt, daß westdeutsche Überheblichkeit völlig fehl am Platze ist. Zum einen sind manche DDR -Probleme BRD-gemacht - zum Beispiel auf den Mülldeponien Vorketzin und Schöneiche. In der am Ende einhellig verabschiedeten „Berliner Erklärung“ wurde denn auch „Schluß mit allem Mülltourismus“ gefordert. Zum anderen liegt im niedrigeren Wirtschaftsniveau der DDR auch eine Chance zur alternativen Entwicklung verborgen. Eine Anhebung des Verkehrs auf BRD-Niveau beispielsweise würde die Verdoppelung von Autos, Dreck und Landschaftsbetonierung bedeuten. Statt dessen verlangten die TeilnehmerInnen einen „Umweltverbund aus Fußgänger- und Radverkehr, öffentlichem Nahverkehr und Bahn“. Und die Tatsache, daß die DDR nach den USA und Kanada weltweit am meisten Energie pro Kopf verbraucht, macht das Land geradezu zu einem „Scheichtum“, wie es ein Journalist ausdrückte, ein Scheichtum des Energiesparens. Ergo verlangte das Treffen nicht nur eine „drastische“ Reduzierung des Braunkohleeinsatzes und eine „Stillegung aller in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke in der DDR und BRD“, sondern auch „die Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Energieeinsparung“. Weitere Punkte auf dem langen Forderungskatalog war ein „fünfjähriges ökologisches Zukunftsinvestitionsprogramm in Höhe von mindestens 200 Milliarden DM“ für die DDR und der Erhalt der Biotope an der Mauer als „grüne Grenze“.

Außerdem haben die DDR-Umweltgruppen eines geschafft: Sie sind an dem seit kurzem tagenden „grünen runden Tisch“ vertreten und können so in die Regierungsgeschäfte hineinreden. Die zentrale Forderung der „Berliner Erklärung“ zielt denn auch auf die Installierung eines „gesamtdeutschen grünen runden Tisches mit Vertretern von staatlichen und unabhängigen Organisationen unter Vorsitz der Umweltverbände“. Das Gremium soll „ein Vetorecht bei umweltpolitischen Entscheidungen in beiden Staaten erhalten“.

Davon unabhängig soll der deutsch-deutsche Austausch vom 6. bis 8.April weitergehen: auf einem Kongreß zum Thema „Ökologisches Wirtschaften“ in Leipzig, der bewußt noch vor den Wahlen in der DDR und BRD stattfinden soll. Dazu eingeladen ist unter anderem Professor Kurt Biedenkopf.