Methadon: auf Krankenschein und mit Phantasie

■ Gesundheitssenatorin, Ärztekammer und Kassenärztliche Vereinigung legten gemeinsame Empfehlungen mit Indikationen an die Ärzteschaft vor

Wenn es einen Knüller gibt, dann liegt er in dem, was bewußt aus-und offengelassen wurde. „Gemeinsame Empfehlungen“ für die Vergabe von Methadon hat Gesundheitssenatorin Dr. Vera Rüdiger gestern betont einvernehmlich mit dem Ärztekammer -Chef Karsten Vilmar und der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) unterzeichnet und bekanntgegeben. Danach gibt es zunächst einen Katalog klarer medizinischer Indikationen: Das Ersatzopiat Methadon soll es geben für Heroinsüchtige mit schweren oder tödlichen

Krankheitszuständen wie Aids oder Krebs, als 'Überbrückungssubstitution‘, begrenzt auf stationäre Krankenhausaufenthalte, für schwangere Drogenabhängige, jedoch nur um den Geburtszeitraum herum, und für psychisch Erkrankte. Diese Indikationen erweitern zwar die bisherige bremische Vergabe-Praxis, die nur schwer Aids-Kranke einbezog in stationäre und ambulante Methadon-Versorgung, betonen aber stets die nur vorübergehende Vergabe und die Ziele des drogenfreien Lebens bzw. einer so

fort anschließenden Clean-Therapie.

Nach einem Passus, der erst kurz vor Beratungsschluß in die 'Empfehlungen‘ eingefügt wurde, kann nun die Methadonvergabe „im Einzelfall über die unbestrittenen Indikationen hinaus indiziert sein“, wobei auch dann laut BtM (Betäubungs-Mittel -Gesetz) medizinische oder psychiatrische Begründungen gefunden werden müßten. Für AltfixerInnen, für die Mütter Neugeborener, die absurderweise nach der Geburt kein Methadon be

kommen würden und gleich wieder auf den Strich müßten, für die - noch - sozial integrierten berufstätigen Heroin -Abhängigen, für „Nur„-HIV-Infizierte könnte über diesen Passus eine Einzelfall-Indikation erfolgen - wenn die betreuenden ÄrztInnen genug Phantasie und Mut aufbringen, all dies in das „Kann“ hineinzudeuten.

Alles, was über den engen und in Bremen unbestrittenen medizinischen Vergabe-Fall hinausgeht, muß künftig von einer 5er-Kommission beraten werden (je 1

VertreterIn von Gesundheits behörde, Ärztekammer, KV, und 2 von Drogenhilfe-Stellen). KritikerInnen aus den Reihen von Grünen und SPD bemängeln: Mit dieser mageren Formulierung, die angeblich Indikationsraum für die eigentlichen Problemgruppen schaffen will, würden ÄrztInnen nicht ermutigt, etwa bei AltfixerInnen oder Prostituierten nach gesundheitlichen Verschreibe-Gründen zu suchen. Auch die Kommission, gegen deren Wort wohl kaum ein Arzt in (theoretisch möglicher) freier Entscheidung eine BtM-Anklage riskieren wird, steht mit leeren Händen da. Es wird an ihr sein zu konkretisieren, was die Bürgerschaft mit erweiterter Methadon-Vergabe gemeint hat.

Die 'Empfehlungen‘ sind das Ergebnis monatelanger Verhandlungen mit der Bremer Ärzteschaft. Besonders die KV der Niedergelassenen betonte gestern, daß die Methadon -Vergabe nicht zu deren „originären ärztlichen Aufgaben“ gehöre, daß aber „einige besonders engagierte Kollegen“ unterstützt werden

sollten. Die KV werde das gemeinsam unterzeichnete Verfahren „tolerieren“ - und vor allem Methadon und ärztliche Leistungen bis auf weiteres auch bezahlen: Methadon auf Krankenschein. Die Vergabe an Wochenenden und Feiertagen erfolgt im Gesundheitsamt durch einen vom Notdienst freigestellten Arzt und eine Hilfsperson aus den Ressourcen der Gesundheitsbehörde.

Senatorin Rüdiger wertete die gemeinsamen Empfehlungen ausdrücklich als „einzige große Ermutigung an die Ärzteschaft“, sich mit mehr Rechtssicherheit an die Materie Methadon zu wagen. Sie rechnet künftig mit einer „erheblichen Zahl“ von substituierten Einzelpersonen.

Während in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Saarland und Niedersachsen Methadon-Programme als Studien begonnen bzw. geplant sind, ist Bremen mit Hamburg das einzige Land mit vergleichbarer einzelfallbezogener Methadon-Regelung. Die Empfehlung soll von März an wirksam sein. Susanne Paa