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MUMIENFORSCHUNG

■ Wissenschaftler aus DDR und BRD klären gemeinsam die letzten Rätsel

Mit teilweise makaberen Ergebnissen erforschen Wissenschaftler der Universität Hamburg und Röntgenspezialisten der Ostberliner Charite, des Klinikums der Humboldt-Universität, einen großen Bestand altägyptischer Mumien aus der Ägyptischen Sammlung der Staatlichen Museen in Ostberlin. In Hamburg wird das Projekt von Professor Dr.Hartwig Altenmüller, dem Ordinarius des Arbeitsbereiches Ägyptologie am Archäologischen Institut der Universität, betreut. Unter seiner Leitung untersucht die Ägyptologin und Diplom-Biologin Dr.Renate Germer bis zu 4000 Jahre alte Mumien, die größtenteils bereits vor dem Ersten Weltkrieg bei deutschen Ausgrabungen in Ägypten entdeckt und nach Berlin geschafft wurden.

Ostberlin beherbergt nach Kairo die zweitgrößte Mumiensammlung der Welt. Dreißig der insgesamt fünfunddreißig Mumien werden momentan in der Charite eingehend untersucht. Während die Toten in vorgeschichtlicher Zeit in Ägypten (ca. 4300-3600 v.Chr.) im Sandboden ohne besondere Konservierungsmaßnahmen bestattet wurden, trat in der Folgezeit eine Wandlung in den religiösen Vorstellungen der Niltalbewohner ein. Die Ägypter glaubten an ein ewiges besseres Leben nach dem Tod. Der Tod bedeutete nicht das Ende des Daseins, sondern nur den Übergang vom irdischen ins jenseitige Leben. Aus diesem Grunde ließen wohlhabende Ägypter ihre Grabkammern mit all den schönen Dingen dekorieren, die sie auch im irdischen Leben sehr begehrten oder schätzten. Zu Beginn der 1. Dynastie (2955 v.Chr.) mußten im oberägyptischen Abydos und im unterägyptischen Saqqara sogar Dienerinnen und Diener dem verstorbenen Hausherrn lebendig ins Grab folgen. Eine Sitte, die in späterer Zeit glücklicherweise nicht mehr gebräuchlich war.

Um im Jenseits weiterexistieren zu können, war es notwendig, den Körper als Haus für die Seele und die Lebenskräfte unbedingt zu erhalten. Dies geschah durch eine in Jahrhunderten immer weiter verfeinerte Mumifizierungstechnik, die zur Zeit der 21.-23. Dynastie (1069-720 v.Chr.) ihren höchsten Standard erreichte. Der griechische Geschichtsschreiber Herodot (ca. 490-420 v.Chr.) teilt hierzu einige hundert Jahre später seine Beobachtungen von der Vorbereitung eines Leichnams zur Mumifizierung durch besonders kundige Einbalsamierer mit: „Als erstes entfernen sie mit einem Metallhäkchen durch die Nase das Gehirn, aber nur zum Teil; den Rest lösen sie mit speziellen Drogen auf. Mit Hilfe eines äthiopischen Steinmessers machen sie dann einen langen Schnitt an der Seite des Leichnams und entfernen fast alle Eingeweide aus dem Körper. Die so entstandene Höhlung reinigen sie mit Palmwein und aromatischen Substanzen. Dann füllen sie den Leib mit reinem Myrrhenpulver, Kassia und anderen bekannten Duftstoffen. Schließlich nähen sie den Schnitt wieder zu.“

Die Ergebnisse des Mumienforschungsprojektes bestätigen größtenteils diese Beobachtungen Herodots. Ergänzend hierzu ist zu bemerken, daß der Leichnam nach dieser Prozedur innen und außen mit Natronsalz ausgetrocknet wurde, um den Körper so vor dem Verfall zu bewahren. Je nach den finanziellen Möglichkeiten der Auftraggeber boten die Einbalsamierer unterschiedliche Behandlungstechniken an. In der teuersten Kategorie wurden die aus dem Körper entfernte Leber, die Lunge, der Magen und die Gedärme gesondert mumifiziert und in vier prunkvollen Gefäßen beigesetzt, die unter dem besonderen Schutz der vier Söhne des Falkengottes Horus standen. Bei den billigeren Varianten verblieben die Organe gänzlich im Leichnam oder wurden nach gesonderter Mumifizierung wieder in den Leichnam eingenäht. Während eines bestimmten Zeitraumes in der Spätzeit (716-332 v.Chr.) schien es bei manchen Bestattungen nicht einmal mehr so sehr auf die Unversehrtheit des Leichnams, sondern eher auf ökonomische Gesichtspunkte bei der Bestattung anzukommen. So wurde der Tote mitunter zu einem kompakten Mumienpaket zusammengeschnürt, wobei ihm vorher die Wirbelsäule durchtrennt und die Rippen gebrochen wurden, damit er in einen möglichst kleinen Sarg paßte. Bei den aufwendigeren und teureren Mumifizierungen wurden die Körper sorgfältig in Mumienbinden eingewickelt, die eine Gesamtlänge von 1.000 Metern erreichen konnten.

Da auch Fälle von Nekrophilie bekannt waren, wurden Frauenleichen den Einbalsamierern häufig erst nach einigen Tagen übergeben. Herodot weiß hierüber folgendes zu berichten: „Die Frauen angesehener Männer werden nicht sofort nach dem Tode zur Einbalsamierung fortgegeben, auch schöne oder sonst hervorragende nicht. Man übergibt sie den Balsamierern erst drei oder vier Tage später; und zwar geschieht das deswegen, damit sich die Balsamierer nicht an den Frauen vergehen. Es sei einmal einer wegen der Schändung einer frischen Frauenleiche bestraft worden, den ein Berufsgenosse angezeigt hatte.“

Der gesamte Prozeß der Leichenbehandlung vom Tode bis zur Grablegung dauerte genau siebzig Tage. Offenbar liegt diesen siebzig Tagen eine Himmelsbeobachtung der ägyptischen Priester zugrunde. Der Stern Sirius und die Dekangestirne des nächtlichen Himmels verschwinden nämlich für siebzig Tage unter dem ägyptischen Horizont. Diese siebzig Tage trennen den „Tod“ von der „Wiedergeburt“ der Gestirne und somit nach den religiösen Vorstellungen auch den Tod des Menschen von seiner unversehrten Ankunft im Jenseits.

Das erfolgreiche Mumienforschungsprojekt könnte beispielhaft für das Zusammenwirken von Wissenschaftlern der DDR und der Bundesrepublik Deutschland im Bereich der Ägyptologie werden.

Bernd Scheel

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