Unfrei an der FU

Gekommen war ich (am vergangenen Freitag, dem 26.1.90), um als Fotojournalist-Ost für die Humboldt-Uni vom gemeinsamen Hochschultag FU-HU zu berichten. Und was ich dann im Auditorium maximum erlebte, war eine Lehrstunde in Sachen Anarchie und Besetzermentalität. Es herrschte Terror an der FU, als Studenten die Eröffnungsveranstaltung anläßlich der Wiederbegegnung und vorsichtigen Annäherung zwischen den beiden Unis nach 41 Jahren kaltem Krieg buchstäblich platzen ließen - auch angesichts von ca. 600 Gästen aus dem bisher so undemokratischen Osten. Die Provokation in dieser Stunde ging eindeutig von den ca. 150 jungen „Demokraten“ aus. Ohnmächtig mußte sich eine Mehrheit den Schikanen einer Minderheit beugen.

Demokratische Spielregeln und Dialogbereitschaft schienen an jenem Vormittag auch gar nicht angesagt, wie eine der auffälligen Sprecherinnen mir gegenüber äußerte. Von den Ausfälligkeiten gegenüber dem Lehrkörper und der Gesellschaft im allgemeinen blieb mir die Spucke weg. Da fehlte mir dann jeder Konsens, ein weiteres Gespräch erübrigte sich.

Wenig verbindlich - dafür um so auffälliger - auch ein angehender Jünger Jesu (Theologie-Student), den ich mir als praktizierenden Christen so nicht als Mann der Kirche vor mir auf der Kanzel als Mittler zwischen Gott und den Menschen vorstellen kann. Meinungsverschiedenheiten zwischen Studenten und Lehrkörper werden nie ausbleiben, aber bitte schön verbindlich in der Form und im vielgepriesenen Dialog. Wie sagte doch schon Rosa Luxemburg: „Freiheit ist immer auch die Freiheit des Andersdenkenden...“. Ich fühlte mich an diesem Tag an der FU jedenfalls sehr unfrei (!) trotz action für meine Kamera.

Joachim Fisahn (DDR)