Frankfurt im Nebel

■ Zur aktuellen Entwicklung in der Kulturpolitik der Mainmetropole. Der Misere zweiter Teil

Reinhard Mohr

Nachdem die Frankfurter und Frankfurterinnen sich vom ersten Schock über die anscheinend reibungslose Zusammenarbeit zwischen Stadtverwaltung und der großkriminellen Zuhälterszene erholt hatten und auch die Staatsaffäre um Gartenpflege aus dem Stadtsäckel mit der versprochenen Rückzahlung von etwa 140.000 Mark durch den Tulpenfreund und Noch-Ministerpräsidenten Wallmann vorläufig beendet war, schlug das Schicksal ein weiteres Mal zu.

„Für den Bürger, vor allem den operninteressierten, ist es nachgerade unerträglich geworden, mitanzusehen, wie sein Opernhaus durch die Anspruchsbesessenheit und Inkompetenz eines einzelnen drangsaliert wird.“ Die Rede ist von Gary Bertini, als Nachfolger des gefeierten Michael Gielen seit knapp drei Jahren Intendant der Frankfurter Oper. Nicht nur der Musikkritiker der 'FAZ‘, Gerhard Rohde, auch die Kollegen der 'Frankfurter Rundschau‘ und anderer Blätter sind empört darüber, daß der Magistrat gerade die Verlängerung der Amtszeit Bertinis bis 1996 beschlossen hat, obwohl „die Zweifel an der Befähigung Bertinis zur Leitung eines vergleichsweise großen Operntheaters in kaum vorstellbarer Weise gewachsen sind“.

Die Kette falscher Personalentscheidungen in der Frankfurter Kulturpolitik reißt offenbar nicht ab. Nachdem der Chef der „Frankfurter Kulturgesellschaft“ (TAT/Off -TAT/Schirn/Mousonturm), Christoph Votali, das einst lebendige „Theater am Turm“ (TAT) heruntergewirtschaftet hat, nachdem inmitten des Chaos der Zuständigkeiten an den Städtischen Bühnen ein ambitionierter, aber überflüssiger „Generalmanager“ installiert wurde und das Schauspiel zwischen Noch-Intendant, Übergangsintendant und einer „großen Zukunftslösung“ die Orientierung zu verlieren scheint, hält Kulturdezernent Hoffmann an einem Mann fest, der nach übereinstimmenden Aussagen von Beobachtern mangels Kompetenz und persönlicher Präsenz den Betrieb zerrüttet, das künstlerische und technische Personal demotiviert und Mitglieder des Orchesters, der Technik und Disposition aus dem Haus getrieben hat. Aus Protest gegen Bertinis Amtsführung trat Mitte Januar der Künstlerische Beirat, dem Vertreter von Chor, Orchester, Ballett, Technik und Solisten angehören, geschlossen zurück.

„Leben und Lieben - dem Haß keine Chance!“ - so lautet der Titel einer für den 10.Februar geplanten „Aktionskonferenz gegen Rassismus“ in der Frankfurter Paulskirche mit dem Hauptredner und Schmerzensmann Horst-Eberhard Richter. Diese frohe Botschaft aus dem „Amt für multikulturelle Angelegenheiten“ vermag den Eindruck nicht mehr zu verwischen, daß die Frankfurter Kulturpolitik mit dem bundesweiten Rekordetat von 500 Millionen Mark pro Jahr einen Paukenschlag verdient hätte, eine kompetente und streitbare Auseinandersetzung über neue Konzepte und Personen.

„Aber die will in der rot-grünen Koalition niemand“, sagt ein Mitglied des Frankfurter Magistrats gegenüber der taz. Das Verfahren, mit dem der Amtswechsel von Kulturdezernent Hoffmann (der eigentlich noch bis November 1994 gewählt ist) zu seiner designierten Nachfolgerin Linda Reisch betrieben wird, ist charakteristisch für diese Situation. Linda Reisch, bis Ende 1989 Geschäftsführerin des „Kulturforums der Sozialdemokratie“ in Bonn, langjährige Lebens- und Weggefährtin des früheren SPD-Bundesgeschäftsführers Peter Glotz, hatte großen Anteil an der Wahlkampforganisation für Volker Hauff (SPD), der im Frühjahr 1989 zum Oberbürgermeister gewählt wurde. Bereits im Sommer 1989 ließ Hauff verbreiten, die 39jährige Linda Reisch sei „seine Kandidatin“ für die Nachfolge von Hilmar Hoffmann, der mit seinem 65.Geburtstag im August 1990 aus dem Amt scheiden werde. Von anderen Bewerbern - sieht man von verdeckten Turnübungen selbsternannter Lokalgrößen ab - war nie die Rede, obwohl die Frankfurter Presse immer wieder mal die Hinterzimmerdiplomatie in der „Metropole des Diskurses“ kritisierte.

Im November 1989 folgte der Frankfurter SPD -Unterbezirksparteitag der Entscheidung für Linda Reisch, deren Wahl durch die rot-grüne Mehrheit der Stadtverordnetenversammlung, avisiert für März 1990, nichts mehr im Wege zu stehen schien. Doch im Dezember 1989 veröffentlichte der 'Spiegel‘ einen gehässigen, von interessierter sozialdemokratischer Seite lancierten Artikel über Linda Reischs „lockeren Umgang mit dem Geld“. In typischer 'Spiegel'-Abmischung aus Dichtung und Wahrheit wurden ihr chaotische Büroorganisation, fehlende Saldenlisten und unerledigte Rechnungen vorgehalten, die den obersten Revisor der SPD bei seinen internen Prüfungen der Geschäfte des Kulturforums in Bonn in die reine buchhalterische Verzweiflung gestürzt haben, wie kolportiert wird.

Darüber hinaus wurden Stimmen aus der SPD - Peter Conradi, Oskar Lafontaine und der Chef der Friedrich-Ebert-Stiftung, Burkhardt - zitiert, die Volker Hauff vor Linda Reisch „gewarnt“ haben sollen. Nachfragen der taz stießen stets auf „no comment“. Linda Reisch selbst bekannte sich im Gespräch zum „produktiven Chaos“, widerlegt glaubhaft einzelne Detailbehauptungen des 'Spiegels‘ und verweist im übrigen auf die nach wie vor bestehende Unterstützung der Frankfurter SPD.

Die aber scheint vorerst auf Tauchstation gegangen zu sein. Zwar betonte Hauff-Sprecher Jan von Trott, Linda Reisch sei nach wie vor die Kandidatin des Oberbürgermeisters, doch wollte er keinen Kommentar zu der zuverlässigen Information abgeben, prominente Sozialdemokraten hätten der designierten Hoffmann-Nachfolgerin geraten, bis zu ihrer Wahl auf öffentliche Diskussionen möglichst zu verzichten. Auslösendes Erlebnis war wohl ein blamabler Auftritt im Rahmen einer ohnehin peinlichen Podiumsdiskussion zur Frage „Brauchen wir eine Metropolenkultur?“, der auch wohlmeinende Beobachter an der Qualifikation der einzigen Bewerberin um die Leitung des Kulturdezernats in Frankfurt zweifeln ließ.

Der amtierende Kulturdezernent Hoffmann, der, wie Augenzeugen berichten, am Montag morgen der 'Spiegel' -Veröffentlichung mit durchaus unfroher Miene durch die Gänge eilte, spielt derweil auf Zeit. Sein persönlicher Referent versichert, Hoffmann habe noch niemandem gesagt, wann er zurücktreten werde. Der Märztermin für die Neuwahl im Stadtparlament sei auf jeden Fall nicht mehr aktuell. Außerdem könne niemand wissen, welche Bewerber sich im Laufe des obligaten öffentlichen Ausschreibungsverfahrens noch melden werden. Die Distanzierung ist offensichtlich, doch der Magistrat schweigt ebenso wie Linda Reisch, die weiterhin zwischen Baum und Borke sitzt.

Volker Hauff hat sich durch seine frühe Festlegung selbst die Hände gebunden - ohne Gesichtsverlust kann er weder vor noch zurück. So verschwindet das mit Verve gepinselte Bild von der nervös-brodelnden, ständig in streitbare Diskurse verwickelten Kulturmetropole im Nebel bauernschlauer Kulissenschieberei.

Im Laufe einer Diskussion mit dem Titel „Querdenken Frankfurt 2000“, an der, selbst zum Erstaunen der Initiatoren, der Feuilletonredaktion der 'FAZ‘, etwa 300 Interessierte teilnahmen, sprachen mehrere Architekten vom „Großdorf“ Frankfurt, das von der „Metropole“ bloß träume. Ein Kampf zwischen „Dorf und Stadt“ sei in vollem Gange, behauptete Mathias Schreiber, während Feuilletonkollege Michael Mönninger die gleichmachende „Dienstleistungsmaschine“ des tertiären Sektors für die „Langweiligkeit“ Frankfurts verantwortlich erklärte. Das städteplanerische Wort von der „Verdichtung“, Fluchtpunkt der meisten Beiträge, träfe abseits einer neoarroganten Fetischisierung von Höhenrekorden einer elitären „Urbanität“ auch auf die Kulturpolitik der Stadt zu.

Nachdem in den vergangenen zwei Jahrzehnten das repräsentative Kulturangebot ständig ausgeweitet, immer neue Museen, Galerien, Theaterräume, aber auch Kneipen und Cafes gebaut wurden, um den in Frankfurt besonders spürbaren Verlust an realer Auseinandersetzung über Kunst und Gesellschaft gleich örtlich zu behandeln, ist jetzt dringend „Verdichtung“ gefordert: Konzentration, qualitative Differenzierung, kompetente Auseinandersetzung mit dem Vorhandenen und, wo es sein muß, Mut zum Schnitt.

Zum Beispiel im Fall des Opernintendanten Bertini, dessen laufender Vertrag, der jetzt verlängert werden soll, bis 1994 (!) gilt, oder in Sachen Fernsehfestival: Konzept und prospektiver Leiter wurden bei einer Expertenanhörung im Kulturausschuß zwar abgelehnt, doch hat dies zunächst nur eines bewirkt: die Ankündigung eines Frankfurter Fernsehfestivals für 1990 wurde auf 1991 verschoben...

Es wäre ein Armutszeugnis für die Stadt, die mit dem neuen Berlin konkurrieren will, wenn sie nicht in der Lage wäre, die Nachfolgefrage im Kulturdezernat noch eimal neu aufzurollen - konzeptionell und personell.

Frankfurt braucht - auch angesichts der dramatischen Umwälzungen in Osteuropa - eine offene, tatsächlich „kosmopolitische“ Diskussion und einen neuen Kulturdezernenten respektive eine neue Kulturdezernentin, die sie anstößt und vorantreiben kann.

Zur methodischen Orientierung könnte das lateinische Kredo des neuen Direktors des Architekturmuseums, Vittorio Magnago Lampugnani, dienen, der seit einem halben Jahr zwischen Mailand und Frankfurt hin- und herpendelt, weil er in der Mainmetropole keine Wohnung finden kann: „Wir sollten einen klugen, wunderschönen Plan machen und ihn dann nicht verwirklichen.“