Zum Schluß doch noch Ernüchterung

Zweite Wirtschaftstagung des Neuen Forums: Unternehmer aus Ost und West basteln an Kontakten, während VolkswirtInnen beider Länder den zügigen Übergang zur Wirtschaftsunion diskutierten / Krise kaum ein Thema  ■  Aus Ost-Berlin Dietmar Bartz

Der eindringliche Appell eines Professors verhallte ohne große Resonanz. Er hatte davon berichtet, daß eine ganze Reihe von Kombinatsdirektoren ihre Produktionssicherheit nur noch für die kommenden sechs Wochen bis drei Monate gesichert sähen - was geschehe, wenn die Abwanderung so weitergehe oder gar noch zunehme, wisse niemand. Doch die meisten der gut 300 ExpertInnen und Betroffenen, die sich am letzten Wochenende in der Hochschule für Ökonomie an der Ostberliner Allee der Kosmonauten trafen, mochten sich damit nicht beschäftigen. Auf der zweiten Wirtschaftstagung des Neuen Forums walteten andere Interessen als noch auf der ersten Konferenz vor zwei Monaten, als eine Bestandsaufnahme von Ideen für die künftige Wirtschaftsordnung der DDR versucht wurde.

Diese Zeiten sind ohnehin vorbei. Auch beim Neuen Forum ist die Marktwirtschaft nun beschlossene Sache, auch wenn sie in die geheimnisvolle Formel „Soviel Markt wie notwendig und soviel soziale Sicherheit wie möglich“ gekleidet ist. Etwas weiter in diesem Programmpunkt, der zeitgleich zur Wirtschaftstagung auf dem Gründungskongreß des Neuen Forums beschlossen wurde, heißt es aber deutlich: „Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis.“ Zwar tritt das Neue Forum auch für das Recht auf Arbeit ein - aber dies, so bemühte sich Aktivist Ingo Klein zu erklären, sei eher als Forderung zu verstehen.

So war die Konferenz denn auch der richtige Ort für neue umtriebige DDR-Mittelständler, Fachsparte Unternehmens- und Gründerberatung, die Kontakte mit dem Westen knüpfen wollen. Deren Kollegen aus den Westen waren gleich dutzendweise eingeflogen und durften sich über den riesigen Informationsbedarf an betriebswirtschafticher Sachkunde und Aufklärung freuen.

Daneben waren aber auch Volkswirte so ziemlich aller bedeutenden bundesdeutschen Forschungsinstitute und Industrieverbände erschienen. Ihnen gegenüber saß eine ganze Riege östlicher ÖkonomInnen, die, teils verwirrt über den schnellen Gang der Diskussionen, teils hilflos ihre miserable Datenlage beklagend, in einzelnen Arbeitsgruppen zuweilen regelrecht an den Rand gedrängt wurden - und vor allem mangels Alternative den Vorschlägen der KollegInnen (West) im wesentlichen zustimmten.

Eine Gruppe war allerdings, trotz Einladung, nicht gekommen: die Gewerkschaften. Von einigen Mitgliedern der Alternativen Liste abgesehen, debattierten Unternehmer, Verbandsvertreter und Ost-Fachleute die notwendigen Grenzen der Mitbestimmung als „Herstellung sozialen Friedens durch Einbindung“ - so ein West-Diskutant - weitgehend unter sich. Über die Feststellung hinaus, daß von einem DDR-Arbeitsmarkt keine Rede mehr sein könne, sondern bereits ein deutsch -deutscher Arbeitsmarkt existieren, verständigte sich die entsprechende Arbeitsgruppe denn auch auf kaum mehr als einige Forderungen zur Fort- und Weiterbildung. Betriebsräte sollen in allen größeren Betrieben eingerichtet werden und, „angelehnt an die Erfahrungen in der BRD, vor allem der Sicherung der sozialen Besitzstände der Beschäftigten dienen“. Welche Aufgaben den neuen Aufsichtsräten zukommen sollen, blieb umstritten.

Während die Arbeitsgruppe „Ökologie und Ökonomie“ mit einem knappen Dutzend Interessenten am geringsten besucht war, war die Diskussion in der Arbeitsgruppe „Strukturpolitik und Internationaler Arbeitsteilung“ am desolatesten. Hauptproblem: Nach wie vor kennt niemand die realen Kosten, zu denen in der DDR produziert wird. Die Konsequenz: Wenn per Preisreform und Freigabe des Außenhandels der Weltmarkt auf die unproduktiven Betriebe losgelassen wird, wird es „regional katastrophal werden“. Die Modernisierungsimporte können nur durch gesteigerte Exporte finanziert werden. Doch nur 21 Prozent der DDR-Ausfuhren gehen in die Westländer, während zwei Drittel im RGW-Raum landen. Wer soll aber zusätzliche, nicht mehr subventionierte Waren made in GDR abnehmen? Auf der abschließenden Pressekonferenz hieß es denn auch: „Es besteht zwar kein Zweifel, daß die internationale Arbeitsteilung vertieft werden muß. Aber es besteht auch keine Idee, wie.“ Die DDR dürfe zwar nicht die verlängerte Werkbank der BRD werden. „Aber es sollte natürlich jedes Angebot geprüft werden, und es wäre unsinnig, gute Geschäfte auszuschlagen.“ Und zum Problem, effiziente ökonomische Strukturen überhaupt nur zu ermitteln, hieß es lakonisch: „Wir haben keine Lösung anzubieten.“ So blieb es beim Plan der Arbeitsgruppe Währungspolitik als konkretestem Ergebnis, das sicherlich auch das weitreichendste ist (siehe Dokumentation).

Der Ökonom Gert Wilde war sich mit seinen KollegInnen und den Wirtschaftsfachleuten vom Neuen Forum darin einig, „daß sich die Wirtschaft der DDR alleine nicht mehr helfen kann“. Im Gegensatz zur Freude, die anfangs die vielen Hilfsangebote aus dem Westen ausgelöst hatten, klangen ganz zum Ende aber doch noch die düsteren Perspektiven in puncto Arbeitslosigkeit an. „Ich habe Zweifel“, erklärte Hans Knop, Professor für Volkswirtschaft an der Hochschule für Ökonomie, „ob das nur strukturelle Probleme auf Zeit sind oder ob nicht die Gesamtzahl der Arbeitsstunden zu hoch ist. Je schneller aber der wirtschaftliche Anschluß sein wird, um so unkalkulierbarer wird der Prozeß.“ Und Fachkollege Wilde machte eine einfache Rechnung auf. Wenn es stimme, daß die Schmerzgrenze bei 500.000 Umsiedlern liege, aber im letzten Jahr 335.000 und im Januar 45.000 Menschen die DDR verlassen hätten, „dann haben wir spätestens im April die Schwelle erreicht, wo wir keine lang- oder mittelfristigen Konzepte mehr brauchen“.