„Jetzt müssen wir Partei- und Staatspolitik machen“

Ibrahim Böhme, Geschäftsführer der SPD (Ost), zum vorgezogenen Wahltermin, zu den Chancen der anderen Oppositionsgruppen und zu seiner mutmaßlichen Spitzenkandidatur  ■ I N T E R V I E W

taz: Die SPD hat das Regierungsmodell mit „Ministern ohne Geschäftsbereich“ durchgedrückt. Was werden diese Herren machen, außer daß sie ein Türschild aufhängen lassen?

Ibrahim Böhme: Als erstes ist es notwendig, der Regierung Modrow bis zu den Neuwahlen am 18.März die Autorität zu verleihen, die sie benötigt, um Wahlen in politischer Kultur abhalten zu können. Natürlich ist es auch von symbolischer Bedeutung, daß von jeder Oppositionsgruppe und -partei eine Person mit in die Regierung eintritt. Ich denke, alle Gruppen werden es so machen: Minister mit Sach- und Fachkompetenz in die Regierung schicken, zwar ohne eigenes Ressort, aber mit voller Abstimmungsberechtigung im Kabinett.

Warum hat sich die SPD geweigert, volle Verantwortung in der Regierung zu übernehmen?

Das in zwei Tagen ausgehandelte Papier der Opposition haben wir mitgetragen, und damit sind wir auch in die Verhandlungen am Sonntag abend gegangen. Nach zwei Stunden stellten wir fest, daß wir in eine Sackgasse geraten waren, weil die Regierungsparteien verschiedene Punkte nicht akzeptierten. Vor allem bestätigte sich unsere Ansicht: Ohne inhaltliche Bestimmung und Aussage kann man nicht in die Regierung gehen. Bei dem Dissens, der beispielsweise in Wirtschaftsfragen besteht, wäre die Regierung innerhalb von 20 Tagen auseinandergefallen. Dann hätten wir gar keine Wahlen mehr durchzuführen brauchen am 6.Mai, und es hätten noch mehr Menschen das Land verlassen.

Die Auseinandersetzung ist doch nie geführt worden. Statt dessen hat die SPD cool kalkuliert: eine Figur im Kabinett für die „nationale Verantwortung“, der Rest macht Wahlkampf „aus der Opposition heraus“.

Ich kann hier für mich reden und sagen, daß ich mich bei meinem Vorschlag nicht von wahltaktischen oder parteipolitischen Gründen habe leiten lassen. Mir ging es um die Interessen der Bevölkerung und des Landes.

Wollen Sie behaupten, Sie hätten nicht bedacht, daß der vorgezogene Wahltermin die Restopposition in eine fast aussichtslose Situation bringt?

Ich kann mir vorstellen, daß es - so wie die Beratungen des Parteien- und Wahlgesetzes laufen - nicht für die Restopposition, sondern für die von mir geschätzten anderen oppositionellen Gruppen eh schwierig sein wird, in den Wahlkampf zu ziehen. Deshalb haben wir schon vorher Persönlichkeiten der Gruppen „Initiative Frieden und Menschenrechte“ sowie „Demokratie Jetzt“ Plätze auf unseren Wahllisten angeboten...

... und so versucht, den Mangel an politischen Köpfen in der SPD auszugleichen. Was bleibt da noch von der Demokratiebewegung übrig?

Wir haben als SPD schon im vergangenen Sommer gesagt, jeder soll seine eigene demokratische Perspektive bestimmen. Ich bin sicher, daß wir einen fairen Arbeitsstil mit Abgeordneten finden werden, die anderen Gruppen angehören, aber auf unseren Listen kandidieren. Sie werden so arbeiten können, daß sie ihre Bürgerinitiativen wirkungsvoll bedenken können.

So gradlinig, wie Sie es schildern, hat sich Ihre Partei doch nicht verhalten. Erst kündigte die SPD das gemeinsame Wahlbündnis der Opposition auf. Den vorgezogenen Wahltermin hat auch die SPD erzwungen - und damit den anderen Gruppen vermutlich den k.o.-Schlag versetzt.

Sie schlagen jetzt jemand, der sich von der Situation täglich vor neue Aufgaben und neue Orientierungen gestellt sieht.

Bitte nicht auch noch die Opferrolle einnehmen!

Nein, aber unsere moralischen Theoreme, mit denen wir - und nicht nur die SPD - angetreten sind, sind von der Situation überrollt worden. Jetzt müssen wir Partei- und auch Staatspolitik machen. Das erschwert es, die Theoreme besonders im Bereich Demokratie aufrechtzuerhalten.

Damit räumen Sie ein, daß am 18.März nicht mehr Ideen für eine neue Demokratie in der DDR, sondern nur noch Ableger der westdeutschen Parteien zur Wahl stehen?

Ich fühle mich nicht als Ableger einer Bundespartei oder eines bundesrepublikanischen Genossen oder einer Genossin. Ich weiß mich zu wehren, wenn ich die Gefahr einer Vereinnahmung sehe. Es hat noch niemand versucht, mich zu vereinnahmen...

Sie vielleicht nicht, aber Ihre Partei.

Meine Partei auch nicht.

Raubt es Ihnen nicht manchmal den Atem, wenn Sie überlegen, mit welcher Geschwindigkeit Ihre Partei sich aus der Solidarität der Illegalität verabschiedet und der schlichten machtpolitischen Parteitaktik zugewendet hat?

Ich bin wirklich nicht der Parteitaktiker, wirklich nicht.

Im Vorstand...

... sitzen mindestens drei Personen, die ich seit vielen Jahren kenne und zu denen ich volles Vertrauen habe.

Durch den vorgezogenen Wahltermin sind Sie dem Amt des Ministerpräsidenten ein Stück näher gerückt. Fühlen Sie sich, mittlerweile der Staatspolitik doch sehr zugeneigt, bei dem Gedanken an diese Aufgabe wohl?

Ich fühle mich überhaupt nicht wohl angesichts der Verantwortung, in die ich mich in dem Moment gestellt sehe. Ich hab es mir am 26.August, am 7.Oktober, während der ganzen vorausgegangenen Jahre in den informellen Gruppen nie träumen lassen, und ich weiß nicht, ob dieser Traum herbeizusehnen ist. Aber ich glaube, ich muß mit Selbstbewußtsein angehen, was die Situation erfordert. Allerdings scheint mir wahrscheinlich, daß es innerhalb meiner Partei - denken Sie nur daran, was uns jetzt an Sachkompetenz zuwächst - andere Menschen gibt, die für eine Spitzenkandidatur zur Verfügung stehen können. Insofern mache ich diese Frage von einer Entscheidung meiner Partei abhängig. Im übrigen entspricht die Mitteilung, ich hätte mich für den Posten des Ministerpräsidenten designiert, nicht den Tatsachen. Auf nachdrückliche Fragen hin habe ich erklärt, ich würde, sofern die Partei es wünscht, als Spitzenkandidat auftreten und mich auch um das Amt des Ministerpräsidenten bewerben.

Gespräch: Petra Bornhöft