Zärtlich und kalt: Faßbinders „Katzelmacher“

■ BHV: Jugendliche machten gutes Laien-Theater

Frühling am Bremerhavener Stadttheater? Innerhalb weniger Wochen wartet es mit drei beachtenswerten Produktionen auf: Johannes Felsensteins Wiederentdeckung der Verdi-Oper „Die beiden Foscari“ , Kleists „Amphitryon“ als Gastinszenierung und jetzt Faßbinders „Katzelmacher“, einstudiert vom Jugendtheaterprojekt. Gruppenleiter und Regisseur Peter Koettlitz überrascht seit fünf Jahren in regelmäßigen Abständen mit provozierenden Themen und gediegenen Inszenierungen.

Nach Nigl Wiliams „Klassen-Feind“ und Edward Bonds „Gerettet“ greift er mit „Katzelmacher“ zum dritten Mal einen Stoff auf, in dem die jugendlichen DarstellerInnen sich mit Jugendlichen auseinandersetzen müssen. Ein Fremder kommt in den Ort, er ist ein „Katzelmacher“, ein Gastarbeiter. Er stört die trügerische Ordnung einer geschlossenen kleinen Welt, und ohne daß er ein Wort sagt, hassen sie ihn schon und reden das Schlimmste über ihn, denn er könnte ja besser sein als sie, im Bett und bei der Arbeit. Koettlitz und sein Ensemble machen das schwierige Stück so leicht, so stimmig, so zärtlich und so kalt, daß die Zuschauer, wie Faßbinder es wollte, in ein Wechselbad von Gefühlen gestürzt werden, daß sie den Atem anhalten und heulen können.

Die Bühne (Wolfgang Cäsar) ist in schwarz gehalten, offen. Vorne links ein Geländer, um das sich in wechselnder Zusammensetzung die Mitglieder der Clique - Dorf- oder Vorstadtjugend - gruppieren, Koettlitz verzichtet auf jeden Naturalismus, er zeigt kein Milieu, es gibt nur drinnen und draußen, den öffentlichen und den intimen Ort. In beiden

sind die Jugendlichen eingesperrt, die Sprache ihrer nackten Körper ist so dumpf, so brutal und gelangweilt wie das kürzelhafte Gespräch auf der Straße. Aber der Regisseur und die zehn DarstellerInnen denunzieren ihre Figuren nicht. Helga, Gunda, Elisabeth, Marie und Ingrid tragen unterscheidbare Züge, individuelle Züge. Darauf läuft es hinaus: Jorgos, der Gastarbeiter, wird brutal zusammengeschlagen, bis er nackt - wie ein Christus am Kreuz - zwischen seinen Peinigern hängt und dem Anführer ins Gesicht blickt. Daß das Zitat keinen Augenblick aufgesetzt und künstlich wirkt, gehört zu den frappierenden Leistungen der Inszenierung. Koettlitz ist es gelungen, aus einer Gruppe jugendlicher Laiendarsteller mit unterschiedlich entwickelten spielerischen Fähigkeiten ein geschlossenes Ensemble zu bilden, dessen präzises Zusammenspiel kleine Schwächen vergessen läßt.

Ohne Jörg Goeddert in der Rolle des Jorgos wäre diese Intensität kaum möglich gewesen. Goeddert, Gründungsmitglied des Jugendtheaterprojekts, spielt den zurückhaltenden Fremden, der den Fragen, Anwürfen und Beleidigungen mit gefrorenem Gesicht sein „nix verstehn“ entgegenhält, atemberaubend souverän. Daß Jorgos den ungastlichen Ort am Ende nicht nur wegen der Schläge verläßt, sondern weil er keinen Türken an seiner Seite haben will, gehört zu den notwendigen Brüchen, mit der Faßbinder einfache Wahrheiten durchkreuzt. In Peter Koettlitz handwerklich gediegener Arbeit, in seinen leisen, schönen Bildern sehe ich eine Reminiszenz und Hommage an die Ära Günter Krämer am Bremer Theater.

Hans Happel