Puschkin, die russischen Vaterlandsfreunde und andere...

■ Sonja Margolina sah sich Ende 1989 die russische literarische Reaktion und ihre Zeitschriften an

Schon im Altertum gab es Antisemitismus. Doch ist eines gewiß: Die Menschen im hohen Norden, die Rentierzüchter, Jäger und Fischer, kamen einfach deswegen ohne jeden Antisemitismus aus, weil Juden in der Tundra nicht heimisch waren. Und doch gelang dem unaufhaltsam voranstürmenden Fortschritt, den das allgemeinbildende Lehrsystem der Mittelschule versprach, das schier Unmögliche. Das verkündete kürzlich allen, die es hören wollten, auf dem Plenum des Präsidiums des allrussischen Schriftstellerverbandes, das am 13. und 14. November 1989 in Rjasan abgehalten wurde, der Schriftsteller Anatolij Buijlow.

„Ich wußte überhaupt nichts von einer jüdischen Frage, ich hütete Rentiere, und bin im Grunde von selbst darauf gekommen, eben durch eigenes Nachdenken: Warum begegnen sie einem eigentlich auf Schritt und Tritt? So auch stellte ich dann meine Frage. Man antwortete mir, weil sie halt klug sind. Gut, das mag ja sein. Ich bin einverstanden. Sie sind eben klug. Doch warum haben sie uns dann in eine Sackgasse geführt? Darüber sollte man einmal nachdenken. Es ist doch so, wo auch immer wir uns aufhalten, überall steht diese Frage. Sie muß schließlich irgendwann einmal gelöst werden. Man fragt Gorbatschow, warum benachteiligen Sie die Juden? Er antwortet: Aber, ich bitte Sie, 20 Prozent von ihnen besetzen bei uns Leitungsposten. Laßt uns ruhig das Dreifache davon annehmen, nämlich alle jene, die andere Namen tragen oder sich hinter fremder Nationalität verstecken.“ (Zeitschrift 'Ogonek‘ 48/1989).

Es ist doch sonnenklar, wieder einmal sind die Juden die Wurzel allen Übels. Sie haben die Russen zu einem Volk von Alkoholikern gemacht, sie führten sie an den Rand ihrer geistigen und physischen Existenz, sie sind unter fremden und sogar eigenen Namen in die russische Literatur und Kultur eingedrungen, haben die russische Sprache verjudet, die russichen Kirchen und Heiligtümer zerstört, zuerst die Februar- und dann die Oktoberrevolution verursacht, Kollektivierung und Hunger über das Land gebracht und es beinahe den Deutschen in die Hände gespielt, und nun setzen sie ihr Geschäft in „Leitungspositionen“ fort, wiederum unter fremdem Namen und unter fremder Nationalität.

Der Schriftstellerverband der Russischen Föderation fühlte sich im Verein mit den von ihm herausgegebenen Zeitschriften dazu berufen, den Feuermelder zu spielen, der das russische Volk über die ihm drohende Gefahr unterrichtet. Abraham Terz schändet

einen Nationalhelden

Das Heft 4/1989 der Zeitschrift 'Oktjabr‘ enthält einige Auszüge aus dem Essay des in Paris lebenden Schriftstellers Andrej Sinjawski, der unter dem Pseudonym Abraham Terz schreibt. Der noch vor zehn Jahren entstandene und im Westen längst veröffentlichte Essay Spaziergänge mit Puschkin hatte teilweise in russischen Emigrantenkreisen ein unfreundliches Echo gefunden. Diese Kritik läßt sich aber nicht im entferntesten mit jener Flut von Gift und Galle vergleichen, die nach seinem Erscheinen in der Moskauer Zeitschrift nationalistisch gesinnte Schriftsteller kübelweise darüber ausgossen.

In der kulturellen Tradition Rußlands gilt Puschkin als Persona non grata, fast ein Heiliger. Viel Mühe haben gerade sowjetische Literaturhistoriker darauf verwandt, diesen Lebemann und unermüdlichen Frauenhelden zu einem Heiligen umzufrisieren, so daß seine hohe moralische Autorität gegen alle Anfechtungen gefeit schien; sie haben es unternommen, aus ihm einen Lehrmeister der rechten Lebensführung zu machen, indem sie seinen Werken den Rang von Evangelien verliehen und jede undogmatische, freie Interpretation als Heiligenschändung und Gotteslästerung brandmarkten.

Allein durch die Wahl eines jüdischen Pseudonyms zog Andrej Sinjawski die geheiligte Person Puschkins in den Schmutz. Darüber hinaus hatte er sich auf ein aus der Sicht der Grundsätze des primitiven Sowjetrealismus vollkommen unzulässiges ästhetisches Spiel eingelassen: Er hatte in Puschkin die Gabe des Schauspielerns, jenen Hang zur Verwandlung „wider jede Moral“ entdeckt.

„Puschkin hüllte sich gern in fremde Kleider“, zitiert Abraham Terz die Erinnerungen einer Freundin des Dichters aus Kischinew, „ehe man sich's versah, war Puschkin Türke, da schon ist er ein Jud und spricht auch wie ein Jud.“

Sie bringen es nicht über sich, diese russischen Patrioten mit ihrer fixen Idee, Puschkin wäre einer Freimaurerverschwörung zum Opfer gefallen, Sinjawski den „Juden“ nachzusehen. Bodenlos scheint vom Standpunkt des „wahren russischen“ Schriftstellers auch eine andere, weitere Gemeinheit: diesen Beinahe-Christus, diesen messiasgleichen Dichterfürsten dem Verdacht auszusetzen und dies tut Sinjawski -, er hätte innere Leere und Seelenlosigkeit durch einen genialen Inhalt auszugleichen gewußt.

In ihrer Art beschwören die Spaziergänge mit Puschkin Russophobie und treten das Andenken Puschkins mit Füßen. Hierbei handelt es sich nicht um einen harmlosen Bubenstreich, sondern um einen Akt rüder Flegelei, behauptet der Dichter Stanislaw Kunjajew ('Ogonek‘ 48/1989).

„Wir sind zutiefst empört über die mit Hilfe der Massenmedien entfachte Kampagne. Systematisch gelangen auf den Seiten der Zeitungen 'Sowjetskaja kultura‘, 'Moskowskie nowosti‘, 'Komsomolskaja prawda‘ sowie der Zeitschriften 'Ogonek‘, 'Znamja‘, 'Oktjabr‘, 'Newa‘ Materialien zur Veröffentlichung, die den Gang der russischen Geschichte verzerren, unser Volk und unsere Kultur in den Schmutz ziehen. Darunter befinden sich auch die in der Zeitschrift 'Oktjabr‘ abgedruckten verleumderischen Spaziergänge mit Puschkin von Sinjawski, der aus seiner Russophobie keinen Hehl macht. Es geschah in den vergangenen anderthalb Jahrhunderten wohl zum ersten Mal, daß der russische Genius in einer russischen Veröffentlichung einem so bitterbösen Angriff ausgesetzt war. Diese Schande läßt sich nun keineswegs mit dem Feigenblatt der Demokratie und neuen Öffentlichkeit zudecken, wie es Sinjawskis Gesinnungsgenossen, die Mitglieder des PEN-Clubs, 'Memorial‘, des Sekretariats der Leningrader Schriftstellerorganisation u.a., versucht haben“ (Odinzow).

Wie man sieht, gehen die „wahrhaft russisch gesinnten“ Vaterlandsfreunde vom Angriff auf Sinjawski direkt zum Sturm auf die gesamte Perestroika-Presse über. Wie Sergej Woronin, ein anderer Patriot, hervorhebt, handelt es sich bei den Gesinnungsgenossen, hier also den Schriftstellern Leningrads, ausschließlich um Juden: Der Anteil russischer Schriftsteller (im Gegensatz zu den sogenannten russischsprachigen) beträgt in Leningrad 20 Prozent.

Die Vollversammlung der russischen Schriftsteller fühlt sich also berufen, die russische Literatur aus der jüdischen Vorherrschaft zu befreien, deren Apologeten überall im Lande Russophobie, das heißt im buchstäblichen Sinne Russenangst, säen. Gegenwärtig ist die Presse aus der Sicht der „Patrioten“ unter den Schriftstellern ganz und gar unter den Einfluß der Juden geraten, die dem russischen Volk unter dem Anstrich von Gesellschaftskritik das Gefühl nationaler Unzulänglichkeit einimpfen und versuchen, ihm die Verantwortung für die historischen Verbrechen eines von Juden geführten Regimes zuzuschieben.

Dieser Konflikt der reinrassigen russischen Schriftsteller mit der Perestroika-Literatur ergab sich zwangsläufig, wie vorprogrammiert, aus der Rückkehr großer sowjetischer Werke, die seinerzeit aus ideologischen Beweggründen von den Regalen verschwanden. Die einst als fortschrittlich empfundenen Dorfschriftsteller hielten einem Vergleich mit solchen Größen wie Andrej Platonow oder Wassilij Grossman nicht stand. Ein spürbarer Rückgang ihrer Anhängerschaft war die Folge, und ihre Zeitschriften, die mehr und mehr zu einem Tummelplatz der Boulevardliteratur mit antisemitischem Unterton wurden, vermochten kein ernsthaftes Interesse zu wecken. Ihre Befürchtungen, daß eine Annahme des „Pressegesetzes“ die Einmischung administrativer Verwaltungsorgane in die Angelegenheiten des Zeitschriftenwesens stark einschränken würde, drängte den Schriftstellerverband der Russischen Föderation zu Initiativen mit dem Ziel der Ablösung liberal gesinnter Redakteure in ihren Publikationen zugunsten eigener Leute nationalistischer und antisemitischer Couleur.

So gab man dem Chefredakteur der Zeitschrift 'Oktjabr‘, die zum Besten auf belletristischem Gebiet zählt, A. Ananjew, unter dem Vorwand den Laufpaß, er hätte einer Literatur Vorschub geleistet, die in der Tendenz russophob sei, etwa der Roman Wassilij Grossmans Leben und Schicksal, desselben Erzählung über die Hungersnot in der Ukraine Alles fließt und der vielbeschworene Essay des Abraham Terz Spaziergänge mit Puschkin.

Dem allrussischen Schriftstellerverband gelang es durch einige erfolgreiche Machinationen schließlich, eine durchaus stattliche Anzahl von Periodika an sich zu bringen: die Zeitung 'Literaturnaja Rossia‘, die Zeitschriften 'Oktjabr‘, 'Moskwa‘, 'Kuban‘. Darüber hinaus bestimmt er Inhalt und Form der schon lange auf das Thema Antisemitismus festgelegten Zeitschriften 'Nasch sowremennik‘ und 'Molodaja gwardia‘. Die Gesamtauflagenhöhe dieser Publikationen beträgt rund drei Millionen. Auf den Seiten der zuletzt genannten findet eine unverhüllte antisemitische Propaganda im Rosenbergstil regelmäßig ihre Heimstatt. Für den erst kürzlich ins Leben gerufenen nationalistischen Block, der bestrebt ist, Rußland vom „europäischen Haus“ abzuschneiden und den durch die katastrophale Situation verunsicherten Bürgern die Ideale eines autark geführten populistischen Staatswesens einzupflanzen, bedeutet dies zweifellos eine willkommene tatkräftige Unterstützung. Die Reichskrise und der

russische Nationalismus

Man kann den Hexensabbat im russischen Schriftstellerverband, seinen Kampf um Absatzmärkte und Masseneinfluß sowie die augenscheinlichen Erfolge in diesem Kampf nicht verstehen ohne das in den letzten zwei Jahren zu beobachtende Anwachsen des russischen Nationalismus.

Im Sowjetreich war das nationale Selbstbewußtsein der Russen lange Zeit von drei Grundfaktoren bestimmt: der Identifizierung mit einem mächtigen Staat, den vom russischen Volk getragenen Opfern beim Aufbau des Sozialismus und dem Sieg im Großen Vaterländischen Krieg. Durch die neue Offenheit fluteten Materialien in die Medien, die der offiziellen Lesart des Verlaufs der sowjetischen Geschichte entgegentraten und an ihre Stelle eine kritische Beurteilung der historischen, sozial-ökonomischen und sittlichen Verhältnisse Rußlands und des russischen Volkes setzten.

Die Russen erschienen im Spiegel dieser neuen Offenheit als Handlanger des Stalinterrors, während sich die Gesellschaft, für deren Aufbau so große Ofper gebracht werden mußten, nicht etwa als Sozialismus erwies, sondern als eine Spielart der orientalischen Despotie. Die Sowjetunion, die um den Preis ungeheurer Opfer den Krieg gewann, wurde nicht nur zum Sieger über den Faschismus, sondern auch zum Unterjocher Osteuropas, indem sie dort 45 Jahre lang ein totalitäres Regime errichtete. Der geographisch begründete Stolz der Russen auf die Weite ihres Reiches schien durch den erfolgreichen Kampf der baltischen Völker um die Annullierung des Molotow-Ribbentrop-Paktes und die damit verbundene Anerkennung der Ungesetzlichkeit dieser territorialen Annexionen im Innersten verletzt. Man setzte die Russen im Verlauf dieses Kampfes mit dem zentralen Unterdrückungsapparat gleich, schimpfte sie Besatzer, begegnete ihnen mit Haß. Das nationale Selbstverständnis der Russen begann in jenem Augenblick an Boden zu verlieren, als man sie erst einmal „psychologisch“ aus dem europäischen Teil der UdSSR verdrängte und sie sich als Menschen zweiter Klasse zu fühlen begannen.

Die erste Meinungsumfrage, die im vorigen Jahr die Wochenzeitung 'Literaturnaja gaseta‘ vornahm, hat gezeigt, wie schwer die Menschen an den ihnen zur Kenntnis gebrachten wahren Zusammenhängen tragen, was bei vielen eine erschreckend niedrige Selbsteinschätzung auslöste, die fast an einen depressiven Zustand grenzt. Auf die Frage, „wem unser Land als Beispiel dienen könnte“, antwortete die Mehrzahl der Befragten mit „niemandem“, während man in einem Fall nicht ohne einen Anflug von schwarzem Humor hinzufügte: „höchstens den Schaben“.

Ein kritisches Verhältnis zur Bewältigung der eigenen Vergangenheit zu finden, in der heutigen Situation eine neue Identität zu gewinnen, ist für den russischen Menschen, der daran gewöhnt war, seine nationalen Interessen mit den staatlichen in Einklang zu bringen, nicht einfach.

Die Anhänger einer verstärkten Perestroika-Politik sehen den Ausweg aus der Krise im Rechtsstaat, in der Wiedergeburt der nationalen Würde durch die Wiedergewinnung der persönlichen, menschlichen Würde, in einer allgemeinen Offenheit gegenüber allen Werten der menschlichen Gesellschaft.

Die russischen Nationalisten sind demgegenüber bestrebt, nachdem sie die Rolle des „älteren Bruders“ im nationalen Isolationismus verloren haben, in der Erneuerung der vorrevolutionären außerökonomischen bäuerlichen Gemeinde eine neue Stütze zu finden, ganz im Sinne einer Kampfansage an die westliche Technik und den westlichen Lebensstil, als deren Träger die Juden gelten. Der Verband russischer Schriftsteller hat es sich zur Aufgabe gemacht, diesen neuen nationalen Werten Gestalt und Ausdruck zu verleihen. Andere

Die Auflösung der Sowjetunion, der letzten Kolonialmacht, vollzieht sich unter blutigen ehtnischen Auseinandersetzungen. Im Ferganatal, in Berg-Karabach, in der Abchasischen Autonomen Republik und in Südossetien fließt Blut. Mord und Folterungen, Blockaden und Geiselnahmen, Ströme von Flüchtlingen, ein halbgeschlossener Kreis der Gewalt umklammert den träge dahindämmernden Körper Rußlands. Lenin nannte das zaristische Rußland ein „Völkergefängnis“. In diesem Gefängnis bestehen nun wiederum viele kleine nationale Gefängnisse, in denen die unterdrückten Völker die nationalen Minderheiten, denen keine Staatlichkeit zugebilligt wurde, verfolgen und unterjochen. Wie in einem System von Zerrspiegeln fand der russische Imperialismus unter Berücksichtigung der nationalen Eigenheiten in Transkaukasien und Mittelasien, in der Westukraine und in Moldawien sein Spiegelbild.

Die freiheitsliebenden Georgier foltern die nach mehr Autonomie dürstenden, zu einem gemeinsamen Ausscheren aus der Sowjetunion aber nicht bereiten Osseten, verweigern den von Stalin aus ihren angestammten Gebieten verjagten türkischen Mescheten die Rückkehr in die Heimat. Die Bevölkerung der Krim stellt sich gegen die Rückkehr der Krimtataren, während man im Wolgagebiet den Wolgadeutschen die Rückkehr verwehrt und die Moldawier das kleine Volk der Gagausen verfolgen.

An solchen Exzessen gemessen, präsentiert sich der russische Chauvinismus, dem es weder an Racheschreien noch an Aggressivität mangelt, vorerst einmal fast vegetarisch genügsam. Aber...

In der Redaktion der 'Literaturnaja gaseta‘ (52/1989) rief eine alte Frau an. „Ich bin 75 Jahre alt“, sagte sie, „ich bin in meinem Haus die einzige Jüdin. Und je länger ich in diesem Lande lebe, um so größer wird meine Angst... Meine Verwandten, Großvater, Großmutter und eine Tante, hat man 41 in Kiew im Babij Jar bei lebendigem Leibe begraben. Doch ich persönlich habe mein ganzes Leben lang keinerlei Antisemitismus erfahren. Jetzt aber habe ich Angst: diese Kundgebungen, die Gesellschaft 'Pamjat‘. Auch die Zeitschriftenaufsätze gegen die Juden... Ich fürchte mich, auf die Straße zu gehen. Die Nachbarn schauen mich scheel an. Einer von ihnen, ein Alkoholiker, ruft mich an, beschimpft mich und fordert Geld.“ - „Hilft Ihnen denn keiner? Rufen Sie doch die Miliz an.“ - „Das wird nur noch schlimmer. Da halte ich schon lieber aus.“ (Die Stimme im Hörer bricht ab. Man hört ein kleines Weinen...) - „Nennen Sie doch Ihre Anschrift. Die Zeitung wird ihnen helfen.“ „Nein, nein, das ist nicht nötig. Es wird nur noch schlimmer.“

Die Zeitschrift 'Junost‘ (11/1989) erhielt von einer Schülerin der 9. Klasse einen Brief: „Ich hatte das 'Pech‘, als Jüdin auf die Welt zu kommen. Recht lange sind mir daraus keinerlei Nachteile erwachsen, bis in diesem Jahr in unserem Hausaufgang eine nette Kumpanei ihre Zelte aufschlug, um an allen Juden, die 'Christus verraten haben‘, Rache zu nehmen. Das Haus allein zu verlassen ist für mich einfach gefährlich geworden. Man greift mich am Kragen, schüttelt mich an den Schultern und schreit mir 'Jude‘ und vieles andere Häßliche in deutscher und russischer Sprache ins Gesicht. An meiner Wohnungstür und an der Hauswand daneben steht das Wort 'Jude‘ und 'Davidsstern‘ geschrieben. Die Eltern sprechen darüber nicht viel, doch ich weiß, daß diese Typen auch sie nicht in Ruhe lassen. Als wir beim zuständigen Abschnittsbevollmächtigten der Miliz Beschwerde einlegten, erfuhr ich tags darauf in der Schule, daß dies 'niederträchtig‘ sei. Warum ist es denn nicht 'niederträchtig‘, wenn man jemanden als 'Jude‘ beschimpft?“