Ärztekrieg in Marseille

■ Mord an Bezirksbürgermeister enthüllt unerbittlichen ärztlichen Konkurrenzkampf

Paris (taz) - Jean-Jacques Pechards Mörder erwarteten den 59jährigen früheren Arzt, der die nördlichen Quartiere der Hafenstadt regierte und auf der Parteilosen-Liste von Oberbürgermeister Robert Vigouroux gewählt worden war, vor einem Restaurant: „Sie exekutierten ihn wie bei einer Abrechnung unter Gangstern“, konstatierte ein Polizeioffizier.

Bereits drei Tage später verhaftete die Marseiller Polizei letzten Donnerstag sowohl die gedungenen Mörder wie auch den Auftraggeber. Beim Drahtzieher handelt es sich um einen Arzt, der auf derselben Liste wie der Ermordete in den Gemeinderat gewählt worden war und als rechte Hand von Pechard tätig war. Die fadenscheinige Begründung des Arztes, daß er seinen Freund liquidieren ließ, weil dieser Schulden von 400.000 Francs nicht zurückbezahlen wollte, fand beim Untersuchungsrichter wenig Glauben.

Weitere Recherchen ergaben, daß sowohl der Ermordete wie auch der Auftraggeber, beides Ärzte, in derselben Privatklinik gearbeitet hatten, deren Verwalter vor einem Jahr von Berufskillern erschossen worden war. Als einer der gedungenen Killer dieses Wochenende gestand, daß er auch diesen Mord im Auftrag eines Arztes ausgeführt hatte, nahm das Drama nationale Dimensionen an. Der Beschuldigte denunzierte nun seinerseits den Besitzer von vier Privatkliniken in Marseille, als Drahtzieher die Fäden im Ärztekrieg gespannt zu haben. Die Anzahl der Betten ist in Marseille limitiert. Diese Regelung führte unter den 40 Privatkliniken, an deren Gewinn sowohl die ermordeten wie auch die zum Mord anstiftenden Ärzte beteiligt sind, zu einem unerbittlichen Krieg um die Zahl der Betten und Patienten.

Zusätzliche politische Brisanz bekommt das Drama, weil Oberbürgermeister Robert Vigouroux, selbst ein Arzt, den Ermordeten trotz schwerster Bedenken in Politkreisen in sein Amt gehievt hat. Pechard war vor zwei Jahren verdächtigt worden, seine Geliebte, eine Krankenschwester, beseitigt zu haben. Auf der Suche nach der Leiche der jungen Frau hatte die Polizei damals gar den Garten des Arztes umgegraben. Die Gerüchte, daß die Krankenschwester zuviel über die Machenschaften im Marseiller Ärztemilieu erfahren hatte und deshalb zum Schweigen gebracht wurde, erhielten durch den Mord an Pechard neuen Auftrieb.

Rene Brunner