Gewerkschaftsgesetz ja oder nein?

■ Gesetzentwurf liegt nun vor / Kontroverse Diskussion, ob rechtliche Regelung nötig ist

Berlin (taz) - In der DDR liegt seit letzter Woche ein neuer Entwurf für ein Gewerkschaftsgesetz vor. Die Unabhängigkeit der Gewerkschaften soll darin gesichert, die Tätigkeitsgebiete festgelegt und die Modalitäten des Streikrechts geregelt werden.

Die Auffassungen darüber, ob so ein Gewerkschaftsgesetz überhaupt notwendig und sinnvoll sei, gehen bei ost- und westdeutschen Gewerkschaftern auseinander. Viele DDR -Gewerkschafter sind der Meinung, daß dieses Gesetz sobald wie möglich verabschiedet werden müsse, weil sonst die Existenz der Gewerkschaften in der DDR gefährdet sei. Nur im Rahmen rechtlicher Sicherheit könne sich eine neue, wirksame Interessenvertretungspolitik unter den gegenwärtigen unsicheren ökonomischen und politischen Bedingungen entwickeln. Andere vertreten die Auffassung, daß eine gesetzliche Fixierung der Gewerkschaftsrechte die Möglichkeiten einer freien und selbstbestimmten Entfaltung von Gewerkschaftspolitik viel eher einschränken würde. „Wir brauchen kein spezielles Gewerkschaftsgesetz“, war beispielsweise die dezidierte Auffassung einer Gruppe von Mitgliedern auf einem gewerkschaftlichen „Basistreffen“ in der Gewerkschaftshochschule in Bernau. Das Recht, sich in freien und unabhängigen Gewerkschaften zusammenzuschließen, gehöre in die Verfassung. Jede gesetzliche Regelung ziele darauf ab, die Gewerkschaften in Schranken zu verweisen.

Bekräftigt wird diese Position durch Erfahrungen aus der Bundesrepublik und anderen westeuropäischen Ländern, wo von konservativen und liberalen Politikern immer wieder der Versuch unternommen wurde, ein Gewerkschafts- bzw. „Verbändegesetz“ zu installieren, das die Gewerkschaften an die Kandare nimmt.

Nun ist der fragliche DDR-Gesetzentwurf in weiten Passagen nicht restriktiv, sondern gewährt den Gewerkschaften Handlungsspielräume, die teilweise weitergehend sind als in der Bundesrepublik. Auch die fragwürdige Beschränkung des Streikrechts als „äußerstes Mittel zur Durchsetzung der Interessen der Werktätigen“ hat ihre Entsprechung bei uns im Westen, wo das Streikrecht durch die Rechtsprechung im Lauf der Jahre immer weiter eingeschränkt worden ist. „Gesetze sind nicht alles“, so ist von Gewerkschaftern in West und Ost immer wieder zu hören, „es kommt darauf an, die vorhandenen Möglichkeiten zu nutzen und gewerkschaftliche Ziele und Inhalte mit der täglichen praktischen Politik durchzusetzen“.

Gabriele Sterkel