Opfer für den St. Corolla

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(Götter aus Blech, Dienstag, 22.40 Uhr, ZDF) Für Lewis Mumford, den am Wochenende verstorbenen Technik-Historiker (Der Mythos der Maschine) waren die Automobile die „Zitadellen“ des 20. Jahrhunderts, Schutz- und Trutzburgen inmitten der Stadt. Vor wem schützen sich die Fahrer mit ihrem Wagen, wem trotzen sie, vor was laufen sie weg? Bernhard Türckes ineinander montierte Porträts verschiedener Autonarren - ein manischer Oldtimer-Sammler, ein Unfallstatistiker, der Architekt einer Stadtautobahn, zwei Modellauto-Fans, ein Rallyefahrer, ein PR-Mann - offenbarten ein paar Essentials des automobilen Kults.

Nicht in den üblichen Abstraktionen, sondern konkret: Für den Sammler ist es das „größte Glück“, einen Borgward zu besitzen, „von dem es nur noch zwei gibt auf der Welt„; am „faszinierenden Geruch“ im Inneren eines Oldies im Originalzustand „können sie sich totschnüffeln“. Der Rallyefahrer will beim Slalom „sein Auto kennenlernen“ und rauskriegen, „bis an welche Grenze ich gehen kann“. Dem Architekten ist daran gelegen, eine achtspurige Autobahn durch ein Kleingarten- und Wohngebiet im Osten Frankfurts „ganzheitlich“ in das Umfeld integrieren: Ein künstlicher Wasserfall soll das Fahrgeräusch harmonisieren, die Oma, die ihren Kleingarten räumen muß, kann künftig „unter der Brücke Straßenfeste feiern“. Er baut keine Autobahn, sondern eine „Landschaft für den Bürger mit einer Autobahn“. Der Werbemann (BMW-Fahrer) gibt bekannte Autonamen in seinen PC, um daraus einen neuen Namen zu generieren: klangvoll, europaweit verständlich und aufgeladen mit dem Mythos, der dem Typ des Fahrzeugs entspricht.

Jeder Bischof müßte beim Zuschauen neidisch werden, wie sich da die Kollegen der Benzin-Kirche ihre Heiligen stets neu aus dem Hut zaubern: St. Vectra, St. Calibra, St. Corolla und Co. Der Unfallstatistiker berechnet seit Jahrzehnten Tag für Tag, wieviel ihnen geopfert wurde. Einige Kollegen seiner Abteilung mußten nach kurzer Zeit versetzt werden: Sie hielten es nicht aus, ohne Unterlaß die Berichte über Tote und Verletzte auszuwerten. „Das ist doch Wahnsinn, da müssen wir doch aufhören mit“, hätten sie gesagt und er selbst hielte es nur aus dank einer „positiven Einstellung zum Leben“.

Freitags zwischen 16 und 17 Uhr kann man eine solche am schnellsten verlieren: in dieser Stunde passieren die meisten Unfälle. Nur einem der vorgestellten Automobilisten dämmerte, daß aus seiner harmlosen Religionsausübung mittlerweile pathologische Frömmelei geworden sein könnte. Er suchte einen Psychologen mit der Frage auf, ob es normal sei, wenn einer immer noch nach Borgwards fiebert, obwohl er schon zwanzig zu Hause stehen hat. Völlig normal, hätte der Psychologe gesagt: Er hatte seinerseits „Goliaths“ in der Garage.

Mathias Bröckers