Sie gleicht mir sehr

■ Zum Tod von Ava Gardner

War Ava Gardner ein Leinwandgeschöpf, das von Film zu Film von ihren Regisseuren immer neu erschaffen werden mußte, oder konnte sie es aus eigener Kraft? War die innere Zerrissenheit ihrer heimatlosen Angloinderin inKnotenpunkt Bhowani nur das Verdienst George Cukors, des größten Schauspielerinnenregisseurs Hollywoods? War die Undurchsichtigkeit ihrer Femme fatale in der Hemingway -Verfilmung The Killers nur eine Frage des dramatischen Helldunkels, in das sie Robert Siodmak tauchte? Und war ihre prunkende Sinnlichkeit in Pandora und der Fliegende Holländer und Die barfüßige Gräfin nur ein Reflex der satten Technicolortöne des Kameramannes Jack Cardiff?

Eher zufällig ins Filmgeschäft geraten, machte sich Ava Gardner selbst die wenigsten Illusionen über ihre Fähigkeiten als Schauspielerin. Ihre Furcht vor den Leinwandrollen war in Hollywood berüchtigt, und sie schien die Rückversicherung der Identifikation mit einer Figur (über die Titelheldin derBarfüßigen Gräfin sagte sie: „Hell, I'm not an actress, but I think I understand this girl. She's a lot like me.“) ebensosehr zu brauchen wie die entschiedene (und Geborgenheit verheißende) Führung von Regieveteranen wie Cukor und Henry King. Ihren Starruhm hatte sie dem glamourösen MGM-Kunstschliff zu verdanken und dem Geschick, mit dem das Studio die Life-imitates-art -Synchronität zwischen ihrem Leinwandimage und ihrem exzessiv-schockierenden Lebensstil vermarktete. Als habe es diese temperamentvolle Frau, die Hemingway die „aufregendste unserer Generation“ nannte, nötig gehabt, in ihrem Leben die mythische Dichte ihrer Leinwandpersönlichkeit zu imitieren!

In der allzuleicht als Schlüsselfilm lesbaren und geschwätzigen Barfüßigen Gräfin antwortet ihr der Regisseur Humphrey Bogart auf die Frage: „Werden Sie aus mir eine Schauspielerin machen können?“ mit den Worten: „Wenn Sie eine sind, dann helfe ich Ihnen, und wenn nicht, dann kann Ihnen niemand helfen.“ Trotz aller Selbstzweifel war sie eine Schauspielerin. Die fiebrige Gespaltenheit der Angloinderin läßt sie in Knotenpunkt Bhowani allein aus dem Wechselspiel zwischen lasziver Sinnlichkeit und strenger Körperdisziplin entstehen. Ihr Blick konnte weit über den betörenden Augenaufschlag hinaus Tiefe und Pathos gewinnen. Die Energie, mit der sie ihre Blicke herausfordernd zuwandte oder verzweifelt abwandte, blieb immer grandios rätselhaft. Henry King hatte das Gefühl, ihre „Seele zu photographieren“, als er ihre Abschiedsszene von Gregory Peck in Schnee auf dem Kilimanjaro in nur einem Take drehte: Mit wenigen verhaltenen Gesten und heftig ausweichenden Blicken skizziert sie eine leidenschaftliche Frau, die am Unverständnis des Mannes innerlich zugrundegeht, ohne dabei eine Träne zu vergießen.

In der Übergangsphase vom düsteren, gegenwartsnahen Film noir der vierziger Jahre zum Melodram der restaurativen fünfziger Jahre hat Gardner den Archetyp der Femme fatale in einzigartiger Weise facettiert. In The Killers war sie noch die unergründliche Verführerin, eine notorische Lügnerin, deren doppeldeutiges Verhalten die Männer ins Verderben stürzt. Später läßt sie ahnen, wie sehr sie unter dieser Rolle leidet; ihre Promiskuität wird in Pandora und derBarfüßigen Gräfin nicht als unmoralisch denunziert, sondern als Prozeß der Selbstfindung und Erlösung dramatisiert. Dennoch ist sie eine Frau, die nur sich selbst gehört, ein unkontrollierbares Wesen, das sich weigert, als Objekt von den Männern vereinnahmt zu werden. Es ist sicher kein Zufall, daß in vielen ihrer Filme ein männlicher Erzähler über sie und sein eigenes Schicksal räsoniert, so quasi nachträglich in den Griff zu bekommen versucht. Eine hübsche Ausnahme ist ihre Rolle in Mogambo: Dort wickelt sie als ordinär-humorvolle Nachtklubsängerin den Großwildjäger Clark Gable ein. Da ist sie auf solch eigensinnige und glamouröse Weise kumpelhaft, daß man sich wünscht, sie hätte einmal einen Film zusammen mit Howard Hawks gemacht.

Gerhard Midding