Die Bürger von Mölbis flüchten vor dem Gift

■ In einer Abstimmung sprachen sich am Wochenende 76 Prozent der EinwohnerInnen für Abriß und Umsiedlung ihres Dorfes aus

Berlin (taz) - Das 380-Seelen-Dorf Mölbis, südlich von Leipzig, wird abgerissen, seine Einwohner werden umgesiedelt. In einem Bürgerentscheid haben sich letzten Samstag 232 von 304 an der Abstimmung beteiligten EinwohnerInnen für das Verlassen des Ortes ausgesprochen. Mölbis liegt direkt in der Abwindfahne der Kraftwerke, Kohleschwelereien und Brikettfabriken des Braunkohlezentrums Espenhain und ist als „das dreckigste Dorf der DDR“ bekanntgeworden. An 310 Tagen im Jahr herrscht in Mölbis starker Smog und Gestank. Viele Einwohner leiden an Haut -Ekzemen, chronischer Bronchitis, Asthma und Kopfschmerzen. Von 900 Einwohnern in den 50er Jahren sind noch 380 übriggeblieben.

Nach dem Sturz der alten SED im November hatte eine neugebildete Regierungskommission den Mölbissern jetzt freigestellt, ob sie ihr Dorf verlassen oder nach der 1994 geplanten Stillegung der Braunkohlefabriken eine „Rekonstruktion“ des Ortes versuchen wollen. Bürgermeister Gerhard Haym hatte bis zuletzt für diese Rekonstruktion gekämpft: Trotz der schlimmen Gasbelastung bedeute Mölbis ein Stück Heimat, das vielen Einwohnern ans Herz gewachsen sei.

Doch mehr als drei Viertel der Einwohner sind anderer Meinung, wie die Abstimmung jetzt zeigte. Sie wollen lieber heute als morgen weg. Wegen der starken Verseuchung der Böden und dem maroden Zustand aller Häuser sehen sie auch nach der Stillegung von Espenhain für Mölbis keine Perspektive. Viele Einwohner glauben außerdem nicht daran, daß die für 1994 angekündigte Stillegung in Espenhain tatsächlich eingehalten wird. „Wir sind schon zu oft belogen worden“, erklärt Ortspfarrer Dallmann das Mißtrauen der EinwohnerInnen. Die Befürworter der Umsiedlung glauben zudem, daß die Rekonstruktion zu teuer wird.

„Wir müssen dieses Votum akzeptieren und werden jetzt die notwendigen Schritte einleiten“, kommentierte Bürgermeister Haym gestern die Abstimmung. Die Entscheidung sei bindend und endgültig. Jetzt müßten für etwa 40 Millionen DDR-Mark zirka 50 Häuser für die Mölbisser neu gebaut werden. Nur: Bis heute weiß niemand, wo der neue Ort entstehen soll. Ob ein Standort im Kreis Borna oder in einer ganz anderen Region gefunden wird, sei genauso unklar wie der Zeitpunkt. Im schlimmsten Fall kommt die Umsiedlung erst nach der Stillegung von Espenhain, „das ist das Paradoxe an dieser Entscheidung“ (Haym).

taz-LeserInnen haben bislang 530 Mark für eine Video-Kamera gesammelt, mit der Ortspfarrer Dallmann die Umweltschäden in Mölbis dokumentieren will. Das entspricht der Hälfte der benötigten Summe. Spenden bitte unter Stichwort „Video für Mölbis“ auf taz-Konto Postscheckamt Berlin, Konto-Nr. 408 453-103, BLZ 100 100 10.

-man