Wenn der Druck aus Westen kommt

Springer und Gruner+Jahr haben sich schon bei DDR-Zeitungen gemeldet / Bei den DDR-Journalisten geht die Existenzangst um / Viele Betriebszeitungen haben bereits dichtgemacht / Der Journalistenkongreß am Wochenende kümmerte sich eher um Formalien  ■  Von Holger Kulick

Ost-Berlin (taz) - Nun hat die Wende selbst die 'ABC -Zeitung‘ erreicht, die Zeitung der Thälmann-Pioniere für Schüler der ersten bis dritten Klasse. „Wir sind auch das Volk“, zitiert ein Kind als Transparent statt Wimpelträger das Titelblatt und fragt: „Was bewegt euch in dieser Zeit? Schreibt uns eure Meinung! Nur Mut!“ - Pressefreiheit als Kinderspiel.

Derweil appellieren ehemalige SED-Bezirkszeitungen wie die 'Freiheit‘ in Halle auf ihrem Titelblatt an die Leser: „Brauchen wir künftig einen neuen Namen?“ und drucken Stimmzettel für die Leserentscheidung ab. Die etablierten Blätter fühlen sich in Zugzwang, denn landauf, landab schießen „andere Zeitungen“ aus dem Boden, die einen aus Idealismus, wie der Bürgerrat in Rostock und der Mecklenburger Aufbruch in Schwerin, die anderen reineweg der Geschäftemacherei wegen, um mit Anzeigen gutes Geld zu machen.

'Wir in Leipzig‘, ein neues Boulevardblatt, und der 'Thüringer Anzeiger‘ in Erfurt, beide deutsch-deutsche Co -Produktionen, sind zwei klassische Beispiele dafür, von relativ zeitungsunerfahrenen jungdynamischen Unternehmern gemacht. 'Wir in Leipzig‘ wirbt mit „flottem Journalismus für die Heldenstadt“, 180.000 Exemplare werden zur Zeit für je drei Mark verkauft. Mit kernigen Sprüchen („1990 boomt westwärts“) will das Blatt Inserenten beiseite stehen, „wenn Einkaufswünsche konkret werden“. Kontakte schaffen „für die Stunde Null“ formuliert das Blatt seine Devise, das vom westlichen Emsdetten aus Anzeigen akquiriert.

Als Joint-venture-Zeitungsprojekt preisen derweil zwei Jungunternehmer aus Germering bei München ihren 100.000 -Exemplare-Coup an, in Westberlin eine Zeitung der Opposition für den Raum Erfurt zu drucken. Ein Geschäftspartner beim Demokratischen Aufbruch sucht vor Ort nach Journalisten - „ohne vom Blattmachen Ahnung zu haben“, wie Angeworbene über das Team urteilen.

Forum für derlei Erfahrungen: der DDR-Journalistenkongreß Ende vergangener Woche - eine „Groteske“, wie im Anschluß die DDR-Gewerkschaftszeitung 'Tribüne‘ in flottem neuen Gewand kommentierte. „Statt um Inhalt, stritt man um Form“, verzettelte sich in einer Vorstandswahl mit anfangs 83 Kandidaten, undurchsichtigem Antragsgewirr, Nebensächlichem und Unentschlossenheiten („Soll Schnitzler aus dem Verband geworfen werden oder nicht?) und ließ Programmatisches beiseite.

Dabei wäre die dringliche Definition als Gewerkschaftsvertretung - eigenständig oder in einer IG -Medien - bitternötig. Denn der Existenzkampf geht um, von einigen Rednern wie Rufern in der Wüste vorgetragen. Längst gibt es arbeitslose Journalisten in der DDR, vor allem Frauen und ältere Kollegen, die bei Betriebszeitungen angestellt waren.

Diese haben eine lange Tradition. In der DDR unterstanden sie den SED-Betriebsorganisationen, weshalb viele Firmenchefs jetzt die Blätter rigoros streichen. In Karl -Marx-Stadt wurden bereits 32 von 100 solcher Blätter eingestellt - ohne Stellenalternative, „abgesehen von einem Pförtnerposten“. In Halle stehen bereits 16 Journalisten auf der Straße, teilten Kollegen mit.

„Wie Frühkapitalisten“

Noch krassere Folgen „des Marktmechanismus“ werden durch zunehmende Einflußnahme von Verlagen aus dem reichen Westen befürchtet. Die führten sich „wie Frühkapitalisten“ auf. In Dresden etwa platzte eine Gruner+Jahr-Chefdelegation ungefragt in die 'Sächsische Zeitung‘, ein Blatt, das es auf eine über 560.000-Auflage bringt. Sie boten Beteiligung oder Übernahme an, mit entsprechender Modernisierung. Andernfalls werde man ein Konkurrenzblatt aufbauen. Die Redaktion ist jetzt in heller Aufregung, denn Abwerbung wäre dann nur eine Frage der Zeit.

Andere Blätter bestätigen solche Erfahrungen, auch mit kleineren Verlagen. Die 'Thüringer Allgemeine‘, die erste „als unabhängig erklärte“ ehemalige SED-Bezirkszeitung, teilte überraschend ihren Lesern mit, eine ominöse „gemeinnützige Gesellschaft“ zusammen mit der Frankfurter Societätsdruckerei ('FAZ‘, 'Neue Presse‘) gebildet zu haben.

Immer noch offen ist die wirtschaftliche Krisensituation des Berliner Verlags, des größten DDR-Verlagsimperiums, das jährich 129 Millionen Mark Subventionen schluckt. Springer genauso wie Gruner+Jahr standen bereits vor der Tür, denn es geht um einen publizistischen „Leckerbissen“: Gesamtauflage 10 Millionen in der DDR! Verzweifelt kommentierte bereits die 'Berliner Zeitung‘, daß es keinen Grund gäbe, sich „von Springer ins Bild setzen zu lassen“. Doch nach dem 31.März zahlt die SED keine Subventionen an ihre ehemaligen Blätter mehr, dazu zählt auch der Berliner Verlag.

Einziger Rat auf dem Journalistenkongreß schien die Idee zu sein, analog dem westlichen Kohlepfennig einen Medienpfennig in die Preise von Druckerzeugnissen einzubringen, um arbeitslose Journalisten auf diese Weise zu unterstützen. Als habe man sich mit der Entwicklug, die da kommt, schon abgefunden.

Dabei könnte einem selbstbewußten Journalismus in der DDR eine beispiellos schöne Zukunft blühen. So enthält das neue Mediengesetz, das die Volkskammer nächsten Montag beschließen soll, neben dem Verbot jeder Zensur den Punkt, daß Journalisten Aufträge verweigern können und nicht verpflichtet sind, „öffentliche Ansichten zu vertreten, die ihrer persönlichen Meinung zuwider laufen“. Dies ins Ohr von Springer und Gruner+Jahr. Doch Personalfragen werden ja künftig ohnehin durch Rationalisierung gelöst...

Daß man bald auf der Straße steht, wird übrigens auch beim Fernsehen befürchtet. Schon deshalb, so Eingeweihte, trauten sich Parteibuchträger zur Zeit kaum, parteiisch zu sein. Ein weiterer Grund: SED-Journalisten fühlen sich der Verfolgung ausgesetzt. Dem 'Neuen Deutschland'-Chefredakteur Wolfgang Spickermann wurde nach eigenen Angaben die Wohnungstür in Brand gesetzt. Abonnenten hätten seinem Parteiblatt mit 1,1 -Millionen-Auflage aber noch nicht gekündigt, trotz Massenaustritten aus der Partei. Erst wenn sich ab April wegen des Subventionsabbaus die Preise erhöhen, wird mit Abbestellungen gerechnet.