Erst mit dem Benzinkanister vor den Landtag?

Hunger- und Durststreiks von ausländischen Häftlingen in hessischen JVAs / Anlaß: Ungeklärte Selbstmordfälle und Ungleichbehandlung  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - Der türkische Staatsbürger Ozan Ceyhun, Mitglied des Landesvorstandes der hessischen Grünen, machte aus seinem Herzen keine Mördergrube. Es sei ein „Skandal“, daß die Probleme der ausländischen Gefangenen in hessischen Knästen auch bei den Grünen nur auf marginales Interesse stoßen würden. Ceyhun: „Sollen die erst mit Benzinkanistern vor dem Landtag auftauchen, damit sie endlich ernst genommen werden?“

Hintergrund für die Empörung von Ozan Ceyhun über das Verhalten auch seiner Parteifreunde ist ein seit Mitte Januar andauernder Hungerstreik von drei Gefangenen, die bislang in der JVA Kassel I einsaßen. Die dem Arbeitskreis der Grünen in der JVA angehörenden Häftlinge reagierten damit auf die sich häufenden Selbstmordfälle in hessischen Knästen und auf die „extreme Ungleichbehandlung ausländischer Gefangener“ durch Anstaltsleitung und Justizvollzugsbeamte - alles „wenig originell“, wie sich Ozan Ceyhun von politikerfahrenen Mitgliedern der Landtagsgruppe hatte sagen lassen müssen. Eine von Ceyhun vorbereitete Pressekonferenz zum Thema wurde abgesagt. Statt dessen gab es eine gemeinsame Presseerklärung von Landesvorstand und Landtagsfraktion, in der die verstärkte Einstellung von Sozialarbeitern mit türkischen, spanischen und französischen Sprachkenntnissen gefordert wurde. Auf den Hunger- und mittlerweile auch Durststreik wurde darin mit keinem Wort eingegangen.

Nachdem sich am 12.Januar der Gefangene Anderas S. in seiner Zelle erhängt hatte, kam es in der JVA Kassel I zu „Bambule im Knast“. Zwei Nächte lang lärmten Hunderte von Gefangenen und artikulierten so ihre Hilf- und Sprachlosigkeit. Die Reaktion der Knastleitung: Drei Häftlinge, denen „Rädelsführerschaft“ vorgeworfen wurde, wurden in andere Gefängnisse verlegt. Der nach Butzbach „verschleppte“ Gefangene PeterM. erklärte in einem Schreiben an die Grünen im hessischen Landtag, zur Massenrandale sei es nur gekommen, weil bislang keiner der zahlreichen Suizidfälle in den hessischen Knästen in „adäquater Manier“ aufgeklärt worden sei. Darüber hinaus hätten sich die ausländischen Gefangenen dem Protest angeschlossen, um gegen ihre Ungeleichbehandlung im Justizvollzug zu protestieren. Die Palette der Schikanen reiche von der Urlaubsverweigerung bis hin zur Verweigerung von Ausbildung und Fortbildung für ausländische Gefangene, da die nach ihrer Haftentlassung dem bundesdeutschen Arbeitsmarkt ohnehin nicht mehr zur Verfügung stünden.

Die „verschleppten Gefangenen“ , so der Gefangene M., wollen mit ihrem Hunger- und Durststreik auch ihre Rückverlegung in die JVA Kassel I erzwingen. In Kassel selbst hat inzwischen nach eigenen Angaben ein weiterer Gefangener der Grünen-Arbeitsgruppe einen Hungerstreik begonnen. Er fordert die Rücknahme des Vorwurfs der „Rädelsführerschaft“ gegen seine hungerstreikenden Parteifreunde und ein „persönliches Gespräch“ mit Ozan Ceyhun und dem grünen Parlamentarier Rupert von Plottnitz. Der Pressesprecher des hessichen Justizministeriums, Joachim Lieber, erklärte dagegen, daß sich gestern keine „normalen Gefangenen“ mehr im Hungerstreik befinden würden. In der JVA -Kassel I sei inzwischen wieder „Ruhe eingekehrt“.