Die AKW-Zunft im „Stimmungsumschwung“

Die Fans der Atomkraft freuten sich in Bonn vorsichtig, aber spürbar über die Marktöffnung im Osten / Bundesdeutsche Atomanlagen erstrahlen angesichts der Reaktorruinen in der DDR in neuem Glanz / Atomforum tagte in Bonn  ■  Von Gerd Rosenkranz

Bonn (taz) - Irgendwann zwischen der Drucklegung des Programms zur diesjährigen Wintertagung des Deutschen Atomforums und der Veranstaltung, die gestern im Bonner Hotel „Königshof“ zu Ende ging, muß etwas passiert sein mit den Frustbeuteln der bundesdeutschen Atomzunft. Im Programmheft wird das Tagungsthema „Kernenergie im Umfeld der 90er Jahre“ mit der lustlosen Bemerkung eingeführt, das Dezennium werde „wenig Spektakuläres“ bringen, denn mit der „Verwirklichung neuer, zukunftsweisender kerntechnischer Projekte“ sei kaum zu rechnen. Und ganz so, als wollten sie auch noch den letzten Interessenten vom Besuch des Treffens abhalten, vermerken die Autoren, man werde sich mit „Fortschritten in homöopathischen Dosen“ begnügen müssen.

Wie erfrischend dagegen die warmen Worte, die Claus Berke, Präsident des Atomforums, den rund 200 Teilnehmern am Dienstag zur Einführung auf den Weg gab. Weltweit, wußte der Interatom-Geschäftsführer, sei eine „Trendwende“ und ein „Stimmungsumschwung“ zugunsten der Atomenergie zu vermerken. Ausgangspunkt dafür seien die Klima- und Weltenergiekonferenzen von 1988 und 1989 in Kanada gewesen. Die Mammutveranstaltungen hatten mit ihrer Prognose, die Folgen einer Klimakatastrophe seien nur vergleichbar mit denen eines Atomkriegs, die Welt ebenso in Angst und Schrecken versetzt, wie sie den selbsternannten Klima -Rettern aus der Atomwirtschaft zu gehobener Stimmung verhalfen.

Die vage Hoffnung auf den massenhaften Einbruch der Anti -AKW-Bewegung unter dem Damoklesschwert des Treibhauseffektes allein kann jedoch den „Stimmungsumschwung“ nicht erklären, der auf den Fluren allenthalben zu spüren war. Der scheint vielmehr, man ahnt es schon, mit der demokratischen Revolution in den osteuropäischen Staaten und insbesondere der DDR aufs engste verknüpft. Damit, so Berke, „kommen neue Aufgaben auf die Kernenergiefachleute des Westens zu“. Denn ohne „Einsatz der Kernenergie werden die Länder Osteuropas ihre immensen Umweltprobleme nicht in den Griff bekommen“. Laufende Anlagen bedürften „dringend der sicherheitstechnischen Nachbesserung“. Keine Rede von Stillegung, über die im Bonner Umweltministerium verschärft nachgedacht wird.

Ansonsten wurde über die Chancen, die sich die hiesigen Atomiker von der Marktöffnung im Osten versprechen, mehr geschwiegen als geredet. Die Angebote der Bayernwerke und PreussenElektra, der DDR mit schlüsselfertigen Atomkraftwerken aus der aktuellen Energiemisere zu helfen, waren ohnehin tabu. Dies, obwohl oder weil am Rande der Tagung bekannt wurde, daß sich PreussenElektra-Chef Hermann Krämer in diesem Jahr bereits mit dem Generaldirektor des AKW-Kombinats, Reiner Lehmann, zu Gesprächen in Ost-Berlin zusammengefunden hatte.

Mit ersten Konzepten warteten lediglich die Referenten aus dem politischen Raum auf. Ludwig Gerstein, energiepolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, nannte als Ziele für eine künftige DDR-Energiewirtschaft unter tatkräftiger Mithilfe aus der Bundesrepublik unter anderem den „Aufbau eines entlastenden Energieverbundes“, die „Gewährleistung ausreichender Sicherheit der betriebenen Kernkraftwerke“ und die „Erstellung neuer Kapazitäten„; auf welcher Basis - Uran, Kohle, regenerative Energien - sagte Gerstein nicht. Jedenfalls werde sich der Umbruch im Osten „ganz erheblich auf die Energiewirtschaft der Bundesrepublik“ auswirken.

Konkreteres hatte Ministerialdirektor Walter Hohlefelder vorzutragen, der im Töpfer-Ministerium die Abteilung Reaktorsicherheit und Strahlenschutz leitet. Der alerte Beamte fügte seinem vorbereiteten Referat über den Stand der atomaren Entsorgung - die bereits für 1989 angekündigten Wiederaufarbeitungsverträge mit der französischen Cogema und der britischen BNFL sind noch immer nicht unter Dach und Fach - einen ausführlichen Bericht über den letzten Töpfer -Besuch in der DDR hinzu. In Greifswald habe man als Hauptprobleme die Versprödung der Reaktordruckgefäße, die mangelnde Beherrschbarkeit von Kühlmittelverluststörfällen, einen ungenügenden Brandschutz und Mängel im elektrischen System erkannt. Nebenbei gestand Hohlefelder, die im 'Spiegel‘ veröffentlichte Störfallgeschichte sei dem Bundesreaktorminister bereits vorher „kursorisch vorgetragen“ worden. Töpfer sei nicht der Reaktorsicherheitsminister der DDR und wolle dies auch nicht werden, betonte der Beamte. Die letzte Entscheidung über eine Stillegung der Reaktorruinen bleibe unter allen Umständen bei der „anderen Seite“.

Eher hintergründig schien in Bonn immer wieder durch, was den Angehörigen der Atomzunft aktuell die Brust schwellen läßt: Angesichts der langen Schatten der Greifswalder AKW -Ruinen erstrahlen die Anlagen dieseits der Grenze in um so hellerem Licht. Charakteristisch eine Bemerkung des PreussenElektra-Vorständlers Hans-Ulrich Fabian, der sich einen ganzen, langen Vortrag lang über die „freiwilligen“ AKW-Nachrüstmaßnahmen seines Unternehmens verbreitet hatte, um - „nur als Gedankenfutter“ - zu schließen, man möge doch mal überlegen, ob „nicht besser in die Sicherheit drüben investiert werden“ sollte.

Auch Hohlefelder schlug ironisch in dieselbe Kerbe: „Ein gewisses Gefälle bei der Sicherheitsproblematik ist nicht zu verkennen“, mahnte aber zugleich zur Zurückhaltung. Man solle „sich nicht der Hoffnung hingeben, daß die Akzeptanz der Kernenergie in der Bundesrepublik aus dem Vergleich mit den Zuständen in der DDR zu gewinnen“ sei. Hohlefelder: „Das halte ich für Blütenträume.“ Geträumt wird trotzdem.