Bonn: Nun ist alles klar

Einhellig, geradezu überschwenglich begrüßten die drei größeren Bonner Parteien Gorbatschows Positionsaufgabe in der Frage der deutschen Einheit. Noch bevor Regierungssprecher Hans Klein gestern nachmittag losjubelte, häuften sich die positiven Reaktionen. Begeistert schwärmte der ostpolitische SPD-Experte Egon Bahr: „Jetzt ist alles klar.“ In einem Zeitungsinterview sagte Bahr weiter: „Nun geht es nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wann und Wie sowie die Form der möglichen staatlichen deutschen Einheit.“ Aber auch in diesen Fragen seien Gorbatschows Äußerungen ein Durchbruch. Denn auch „über Vertragsgemeinschaften und Konföderation gibt es zwischen uns und dem sowjetischen Generalsekretär keine Differenzen mehr.“ SPD-Chef Hans Jochen Vogel bescheinigte Gorbatschow ein „bemerkenswertes Verständnis für die weitere Entwicklung des deutschen Einigungsprozesses“.

Wenig überrascht äußerte sich Bundesaußenminister Genscher. Es habe sich schon in den letzten Wochen immer deutlicher gezeigt, daß sich die Sowjetunion auf eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten einstelle. Genscher fuhr fort, eine sich selbst destabilisierende DDR könne ein Problem für Europa werden, wenn das nicht in einem deutsch-deutschen Annäherungsprozeß, in einem Prozeß des Zusammenwachsens und gleichzeitig in einem europäischen Stabilitätsrahmen aufgefangen werde. „Deshalb ist es wichtig, daß der Westen in dieser Zeit der Sowjetunion eine Stabilitätspartnerschaft anbietet.“

Kontrovers zu einigen Unions-Politikern wandte sich Genscher in einer Rede vor der Evangelischen Akademie Tutzing gegen eine militärische Ausdehnung der Nato auf die DDR, aber auch gegen ein neutralisiertes Deutschland. Er deutete eine nach dem französischen Vorbild auf die rein politische Zugehörigkeit beschränkte Nato-Mitgliedschaft des vereinigten Deutschlands an. Das ist eine Position, die der designierte SPD-Kanzlerkandidat Lafontaine bereits vor Jahren als bundesrepublikanische Option vorgeschlagen hatte.

„Was immer im Warschauer Pakt geschieht“, prophezeite Genscher, „eine Ausdehnung des Nato-Territoriums nach Osten, das heißt, näher an die Grenzen der Sowjetunion heran, wird es nicht geben.“ Dies bedeute, daß auch „der Teil Deutschlands, der heute die DDR bildet“, nicht zur militärischen Nato-Struktur gehören dürfe, weil dies die deutsch-deutsche Annäherung blockieren würde.

In seiner vom Auswärtigen Amt als grundlegend bezeichneten Rede unterstrich der Minister gleichwohl die Westbindung. „Unsere Mitgliedschaft in der EG ist im Falle der deutschen Einheit unwiderruflich und der Wille zu fortschreitender Integration hin zur politischen Union auch. Das gleiche gilt für die Mitgliedschaft im westlichen Bündnis. Ein neutralistisches Gesamtdeutschland wollen wir nicht.“

CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender Dregger, dessen „Wunschtraum“ darin besteht, US-Truppen nach Frankfurt/Oder zu verlagern, behauptete, die Sowjetunion könne von einer Kooperation mit einem vereinten Deutschland im Herzen Europas nur Vorteile haben. Jetzt komme es darauf an, so Dregger, „die DDR so bald wie möglich zu einem blühenden Land zu machen, was nur im Verbund mit der Bundesrepublik Deutschland möglich ist“.

peb