Von der Opposition zur Organisation

■ Gespräch mit Karl Richter, Mitbegründer der „Unabhängigen Gewerkschaftsorganisation“ (UGO) und späterem Vorsitzenden der IG Druck und Papier

Karl Richter ist heute 86 Jahre alt. Mit 15 Jahren, 192O, wurde er Mitglied der Berliner Arbeiterjugend und Gewerkschaftsmitglied im „Verband der deutschen Buchdrucker“. Sein ganzes Leben verbrachte er in und für die Arbeiterbewegung. Während der Nazizeit arbeitete er für den Widerstand. 1939 wird er in die Wehrmacht einberufen und einem Baubataillon zugeteilt. Nach der Entlassung aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft wird er wieder Buchdrucker in Berlin und bald Bezirkssekretär im FDGB. Karl Richter ist Gründungsmitglied der UGO und ab 1948 erst zweiter, dann erster Landesvorsitzender der Industriegewerkschaft Druck und Papier.

taz: Sie waren 1946 Mitglied des FDGB, welche Funktionen haben Sie dort erfüllt.

Karl Richter: Ich war im Vorstand der Druckersparte des Verbandes für Großberlin und wir haben schon damals die Auseinandersetzungen gehabt, daß es dem FDGB nicht darum ging, Gewerkschaftsarbeit zu leisten, sondern politische Arbeit. Wir waren damit unzufrieden. Weil wir uns alle schon von vor 1933 kannten - wir waren ja alle wie eine große Familie -, haben wir uns auch bald wieder zu gemeinsamer geswerkschaftlicher Arbeit zusammengefunden.

Wer ist wir?

Wir, das sind die sozialdemokratisch organisierten Drucker. Wir haben uns gleich nach Krieg sowohl über die Betriebe, als auch über die Partei wiedergefunden. Ich war ja Betriebsgruppensekretär und habe dann versucht die Namen der Genossen und Genossinnen zusammen zu bekommen und auch die Namen von Sympathisanten und Sympathisantinnen. Die habe ich dann zu Veranstaltungen eingeladen, das war in Neukölln. Bald habe ich auch für andere Gewerkschaften die gefunden, die mit unseren Gedanken einer freien und unabhängigen Gewerkschaft sympathisiert haben. Das war eine ganz schöne Arbeit, all die Listen und die Einladungen.

Wo haben sie sich getroffen.

Na ja, erst in Hinterzimmern von Kneipen und später auch im Büro der SPD in der Ziethenstraße. Das war anstrengend, aber es hat geklappt. Wir haben unsere Leute, wir waren aber noch nicht organisiert, bei den Gewerkschaftswahlen als Kandidaten aufgestellt. Die sind auch gewählt worden, aber sollten mit Tricks wieder abgewählt werden.

Können Sie ein Beispiel für die Kandidatenpolitik des FDGB erzählen.

Ja, da war der Albert Pietsch, der war sogar ein Freund von mir, der war Verbandssekretär und wurde in Neukölln abgewählt. Da hat er uns dann einen Brief geschrieben und die Wahl ungültig erklärt, weil sie nicht geheim war. Wir hatten mit Handaufheben gegen ihn gestimmt. Da mußte die Bezirkswahl noch mal gemacht werden, und dann haben wir ihn geheim abgewählt. Ich wurde dann Bezirksvorsitzender. Anders herum lief es aber, wenn wir verloren. Dann hat kein Hahn danach gekräht, ob alles formal richtig ablief. Die Kommunisten im FDGB haben immer nur parteipolitische Politik gemacht.

1948 haben Sie sich zu einer organisierten Oppostiton, der UGO zusammengeschlossen. Die UGO wollte parteipolitisch unabhängig zu sein. Aber in Wirklichkeit waren Sie doch fast alle SPD-Mitglieder und haben SPD-Politik gemacht. Ist das nicht ein Widerspruch?

Nein, das waren wir nicht, sonst hätten wir ja nicht die Übermacht gegen den FDGB später gewinnen können. Es gab ja nur 30.000 SPD-Mitglieder in Berlin, und wir waren viel mehr. Wir waren die Opposition für alle die, die mit der Politik des FDGB und der SEW nicht einverstanden waren. Wir wollten das haben, was wir vor 1933 hatten und heute im DGB wieder haben. Selbständige Einzelgewerkschaften, Tarifhoheit, Finanzautonomie und Streikrecht. Die allgemeine Politik kann dann vom DGB gemacht werden - aber wir bestimmen sie von unten nach oben. Die meisten Kollegen in den Betrieben wollten das, nicht nur die SPD.

Was für eine Politik machte der FDGB in den Betrieben?

Wir wendeten uns alle gegen die Aktivistenbewegung im FDGB. Da wurde nämlich gefordert, daß die Facharbeiter tarifwidrige Arbeit machen sollten. Sie sollten statt einer Maschine zwei Maschinen bedienen, Frauen wurden an die Maschine gestellt, und Leistungslöhne, wie es eigentlich im graphischen Gewerbe üblich ist, bekamen wir nicht, sondern zentral ausgehandelte Festlöhne. Und da sollten wir doppelt und dreifach Arbeit machen. Unheimlich empört waren wir auch darüber, daß Facharbeiter einfach aus ihren Wohnungen geholt wurden und nach Rußland gebracht wurden. Wir haben nie mehr was von ihnen gehört. Auch Freunde von mir sind nie wiedergekommen.

1948 hat die Opposition sich organisiert. Haben Sie Unterstützung von außen bekommen. Es wird gesagt, auch vom CIA.

Ja, vielleicht, aber mehr von der Partei. Und auch nur, als wir schon einen richtigen Verband hatten. Am Anfang hatten wir nichts. Uns wurde etwa so geholfen, wie wir heute den Kollegen im Osten helfen. Weniger mit Geld, mehr mit Erfahrungen. Die müssen ja jetzt von vorne anfangen.

Interview: Anita Kugler