Von der UGO zum Landesbezirk Berlin des DBG

■ Landesbezirk Berlin des DGB als Abspaltung vom FDGB entstanden / Alliierte schalten sich in den Konflikt zwischen Unabhängiger Gewerksschafts-Organisation (UGO) und FDGB-Führung ein / Sowjetische Blockade Berlins entzweit Berliner Einheitsgewerkschaft endgültig

Berlin im Juni 1945. Die Stadt ist, so sagen es die Augenzeugen, „der größte Trümmerhaufen der Welt“. Von den ehemals 1,5 Millionen Wohnungen sind nur noch 250.000 winterfest. Die Versorgung mit Strom, Wasser und Gas ist zusammengebrochen. Flüchtlinge, Ausgewiesene und entlassene Kriegsgefangene strömen in die Stadt, in den 48 Durchgangslagern werden 537.000 Personen gezählt. Die Industrieanlagen, die dem Bombardement widerstanden haben, werden von den Sowjets, später auch von den Franzosen demontiert, nach Rußland, Tschechoslowakei und Juguslawien verschickt. Berlin ist wirtschaftlich am Ende, politisch instabil, das öffentliche Leben wird bis Juli von der Roten Armee alleine, ab dann von der Interallierten Militärkommandatur kontrolliert.

Noch unter sowjetischer Alleinverwaltung wird den Bürgern der gesamten Sowjetzone, also auch in Großberlin, die Bildung von freien Gewerkschaften gestattet. Demokratischer Aufbauwille ist in dieser desolaten Situation gefragt. Und die Kollegen nutzen diese Chance. Noch im Juni findet die Gründungsversammlung des „Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes“ (FDGB) statt. Der Verband hat schon nach knapp einem Jahr mehr als 450.000 Mitglieder. Das Organisationsprinzip ist einfach und entspricht exakt dem Modell, daß bis in die letzten Tage in der DDR noch gültig war. Unterste Ebene ist der Betrieb, dort werden Betriebsgewerkschaftsleitungen gewählt. Zusammengefaßt werden die Betriebe in Industrieverbände, die sich wiederum in einem Bezirksauschuß sammeln. Über all dem Organisationsgeflecht, 18 Gewerkschaften und 20 Bezirksausschüsse gibt es, steht der FDGB.

Der FDGB ist von Anfang an ein zentralistischer Verband, die Industriegewerkschaften haben weder Finanzhoheit noch Tarifautonomie. Beides sind Rechte, die sich die Einzelgewerkschaften beim heute in Ost-Berlin tagenden „außerordentlichen Satzungskongreß“ des FDGB erstreiten möchten.

Sowjets importieren

genehme Genossen

Auch mit der parteipolitischen Unabhängigkeit des neuen Gewerkschaftsbundes ist es nicht weit her. Sämtliche Funktionärskörper in Großberlin werden von organisierten Kommunisten dominiert. Das liegt zum einen daran, daß die Kommunisten im Gegensatz zu den Sozialdemokraten sehr präzise Vorstellungen über die Gewerkschaftsarbeit haben, zum anderen, daß die sowjetische Kommandatur ihren Zeitvorteil in Berlin nutzt, um Genossen aus dem Exil in die Stadt zu importieren. Den Organisationsvorteil kann die KPD im März 1946 ausbauen. Nach der im Ostsektor der Stadt erzwungenen Ehe von KPD und SPD zur „Sozialistischen Einheitspartei“, sind die Nicht-SED-Mitglieder im Funktionärskörper des FDGBs hoffnungslos in der Minderheit. Mißtrauen macht sich breit, zumal die politische Dominanz im Verband nicht dem allgemeinen Klima in der Stadt entspricht. Bei den ersten und letzten freien Wahlen die es im Oktober 1946 in Großberlin gibt, verliert die SED erheblich. Stärkste Partei wird mit 63 Sitzen die SPD, die SED ist mit 26 Sitzen Wahlverlierer.

Der Wahlsieg der SPD ist aber nicht der einzige Indikator für das Mißtrauen gegenüber dem mehrheitlich kommunistisch geführten FDGB. Von entscheidender Bedeutung sind die, aufgrund eines Kontrollratserlasses verfügten Betriebsratswahlen. Der FDGB muß sich damit abfinden, daß es jetzt neben den „Betriebsgewerkschaftsleitungen“ Betriebsräte gibt, die von den gesamten Kollegen eines Betriebes, also auch von den Nichtgewerkschaftsmitgliedern, gewählt wird. Von einer von Parteipolitik unabhängigen Betriebsratswahl kann dennoch weder im April 1946 noch ein Jahr später die Rede sein. Denn die Kanditaten müssen - auf Druck der sich inzwischen formierenden Opposition in den Betrieben - ihre Parteizugehörigkeit bekennen. „Genossen“, muß Vorstandsmitglied Mattern dann auch konstatieren, „wir haben bei den Betriebsratswahlen in Berlin in den Großbetrieben schlecht abgeschnitten“. Die Betriebsratswahl und die Wahlen zum Stadtparlament machen den innergewerkschaftlichen Opponenten Mut.

Opposition formiert sich

Rührige Gewerkschafter, zum größten Teil SPD-Mitglieder, machen sich ans Werk, die Opposition innerhalb des DGB zusammenzuführen. Wortführer ist Ernst Scharnowski und der spätere Landesvorsitzende der SPD, Franz Neumann. Technisch ist die Oppostionsarbeit schwierig, der FDGB-Vorstand behindert die Basisarbeit, politisch werden sie indirekt dadurch unterstützt, daß der FDGB sich immer mehr ins offene Fahrwasser der KPD begibt. Weder widerspricht der Gewerkschaftsverband den immer noch laufenden Demontagen, noch verhindert er den Nacht- und Nebel-Abtransport von Facharbeitern aus dem Ostsektor nach Rußland. Der Fall „Ossawakim“ zu deutsch in etwa „Verlagerung“ erbittert die Gemüter, Hunderte von Facharbeitern werden - kurz nach den Stadtparlamentswahlen 1946 - vom NKWD auf Nimmerwiedersehen deportiert. Widerstand provozieren auch die vom FDGB unterstützen „Aktivisten“ und „Wettbewerbstage“, die die über Soll arbeitenden Kollegen nach sowjetischem Muster zu Helden der Arbeit kürt. Staatliche Lohn- und Gehaltsverordnungen, Zwangsarbeitsverpflichtungen, Behinderung von Arbeitplatzwechsel, Extralebensmittelzuteilungen für FDGB-Funktionäre, all das bringt böses Blut in die Betriebe, wird den Kommunisten angelastet.

Am 10.Februar ist es dann soweit. Die Oppostion formiert sich zur Fraktion und gründet die „Arbeitsgemeinschaft Gewerkschaftsopposition“ (UGO). Ihr Ziel ist, „die Wiederherstellung der inneren und äußeren Gewerkschaftsfreiheit“, die Selbständigkeit der Industrieverbände, eine größere Selbständigkeit der Betriebsräte und die „Befreiung von der SED-Herrschaft“.

Versammlungsort wird das Wilhelm-Leuschner Haus in Dahlem, eine Einrichtung der SPD. Eine eigene Verbandszeitung 'Das freie Wort‘ erscheint mit amerikanischer Lizenz. Obwohl der Vorstand der Gewerkschaftsopposition nur zwei SPD-Mitglieder zählt, ist die Fraktion von Anfang an ein Kind der Sozialdemokraten. Wieder entwicklete sich in der Arbeiterbewegung ein „Bruderkampf“.

Alliierte mischen mit

Hochpolitisch ist die Existenz der UGO-Fraktion, weil sich auch die Allierten nicht aus den Auseinandersetzungen heraushalten. Die sowjetische Kommandatur verweigert UGO -Funktionären die Einreise in den Sowjetsektor der Stadt, die Amerikaner wiederum unterstützen die UGO mit Logistik und später auch mit Geld. Mit wieviel und wie die Unterstützung im Einzelnen aussieht, darüber ist bis heute nichts zu erfahren. Der innergewerkschaftliche Kampf im FDGB ist eine Auseinandersetzung zwischen Ost- und Westpolitik, ist ein Stück kalter Krieg.

Zum Sprengsatz im Funktionärskörper und der UGO-Minderheit im Apparat wird die Diskussion über den „Marshall-Plan“. Der FDGB-Vorstand wendet sich ohne Wenn und Aber gegen eine mögliche Annahme, warnt, daß das amerikanische Unterstützungsprogramm den Beginn einer Spaltung Deutschlands bedeutet. Auf einer Interzonenkonferenz, einer Versammlung aller Ländergewerkschaften beschließen die westzonalen Verbände, gegen den Widerstand des FDGB -Großberlins, die Annahme des Plans. Die anwesenden UGO -Vertreter haben als Beobachter der Konferenz kein Stimmrecht. Damit befindet sich der FDGB nun nicht nur im Hick-hack in Berlin, sondern ebenso im Widerspruch zu allen westlichen Gewerkschaftsverbänden. Und dieser innergewerkschaftliche Kampf geht in Berlin in kompromißloser Härte weiter. Wahlsiege werden jeweils von der unterlegenen Fraktion nicht anerkannt, der 1.Mai wird auf getrennten Kundgebungen gefeiert, um Satzungen wird gestritten, bis die Alliierten - jeweils in ihrer Zone schlichtend eingreifen.

Spaltpilz „Rosinenbomber“

Der Tropfen, der das Faß zum überlaufen bringt, ist die Blockade Berlins. Der Vorstand des FDGBs legt gegen die wirtschaftliche Abschnürung Berlins nicht die Spur eines Vetos ein, die sich der UGO verpflichtet fühlenden Kollegen packen aber die Lebensmittel aus den amerikanischen „Rosinenbomber“ aus und demonstrierten für die „Freiheit“ Berlins.

Am 14.August 1948 ist es dann soweit. Die Opposition wird zur Organisation und nennt sich „Unabhängige Gewerkschafts -Organisation Großberlins“. Dem parallel existierenden Dachverband FDGB wird jegliche Existenzberechtigung abgesprochen, er wird als „Wurmfortsatz“ der Kommunisten bezeichnet. Umgekehrt wiederum ist die UGO für den FDGB ein „Spalterverband“, der das Prinzip der gewerkschaftlichen Einheit mit Füßen tritt. Unversönlich bestehen in Großberlin beide gewerkschaftlichen Zentralverbände nebeneinander weiter, politisch zerstritten und mit verschiendenen Organisationsprinzipien. Die Industriegewerkschaften erhalten in der UGO-Tarifautonomie und Finanzhohheit. 195O wird der „Spalterverband“ in Berlin vollberechtigtes Mitglied des „Deutschen Gewerkschaftsbund“ und nennt sich fortan auch in DGB-Landesbezirk Berlin.

Anita Kugler