Ums Karree

■ ...ÜBER DEN TOD

Es herrscht Ruhe in der Galerie Stil und Bruch. Vor den Fenstern bewegen sich ein paar kahle Büsche, und der alte blankgescheuerte Spülstein sieht aus, als ob er zu der Ausstellung neuer Arbeiten von Christoph Kühl gehörte. Zwischen den unverputzten Wänden und den nackten, stumpfen Holzdielen spricht nur das Material: Stoff, Holz, Papier, Sand und Erde.

Genommen wurde alles, was Haushalt und Garten zu bieten haben: einfache Stoffbahnen, Bettlaken, Papiertaschentücher, Spitzendeckchen, altes Holz und rostige Eisenteile. Die Stoffbahnen hängen solo in den Raum hinein oder einfach auf eine Leiste gepinnt vor den Ziegelsteinen der Mauer. Grob schwarz-orange gemustertes Bettuch wurde in Streifen auseinandergerissen und wieder zusammengeklebt. Ein anderes Stück bescheidenes Leinen hat Kühl mit Leim zu einem Wandrelief geformt, geschliffen und mit Farbpigmenten versehen, so daß das Auge wahlweise eine steinerne Schöne sehen kann, die ihr Antlitz verhüllt, eine pietätvolle Anspielung an Stuckkunst oder was immer.

Was der Stoff einst vor seiner Verarbeitung gewesen war, nämlich vergänglicher Organismus, daran erinnern die Farbspuren, die über die mit Sand und Erde bezogenen Bahnen laufen. Tuschtupfen wirken wie Schimmel, der das Kunstwerk schmarotzend besetzt. Pigmente täuschen Rost vor, der den Untergrund zerfressen will. Der Rost befindet sich aber auf einer Leinwand, und Leinwände rosten für gewöhnlich nicht. Und Spitzendeckchen krümmen sich normalerweise nicht stockfleckig in einem Rahmen. Moosig grün vollgesogen, verfallen sie, ohne dies in Tarkowski-Manier pathetisch zu überhöhen. Nutzlos verweisen sie nur auf ihren eigenen Verfall.

Todessehnsüchtiges Pathos findet sich dann in großen Sand und Erdflächen. Was auf den ersten Blick milde kontemplativ stimmt, versöhnliche Kunst für einen verregneten Sonntagnachmittag, zeigt bei genauerem Hinsehen Schrammen und Wunden, Kratzer und Krater. Als ob Kühl Satellitenaufnahmen von einem anderen Planeten als Vorlage verwandt hätte. Dort müssen Kämpfe getobt haben, die so lange dauerten, bis alles Leben ausgelöscht war, nur noch eine unbarmherzige Sonne Hitze verstrahlt und die letzten Reste zu Asche verwandelt hat.

Einfache Tricks der Verfremdung durchziehen irritierend die Ausstellung. Diese Irritationen - Rost auf Stoff oder die Vereinzelung des organischen Verfalls - fallen umso mehr ins Gewicht, da sie mit den katastrophensehnsüchtigen Symbolen eines subjektlos allgemeinen Todes nichts gemein haben. Der schmutzig vereinzelte Tod, im Altersheim vielleicht zwischen erinnerungslosen Dingen, wirkt unbeholfen, stellt man ihm die sicher schönere Pose männlicher Apokalyptik entgegen. Er wirkt unbeholfen, weil die Verallgemeinerung des Todes d.i. auch immer seine Verdrängung - soviel besser mit unseren psychischen Realitäten korrespondieren kann als das petit sale secret des einzelnen Todes.