Der Massenrausschmiß der Polen beginnt

■ Innensenator will Tausende von Polen und andere Osteuropäer abschieben / AL und Ausländerbeauftragte dagegen / Polnischer Sozialrat protestiert massiv

Drohbriefe der offiziellen Sorte flattern einer wachsenden Zahl von polnischen Staatsbürgern ins Haus. Absender ist die Berliner Ausländerbehörde, die begonnen hat, die neue „Weisung“ für Polen, Ungarn und andere Osteuropäer umzusetzen. Seit Mitte Dezember werden reihenweise Ausreiseaufforderungen verschickt - etwa 5.000 Menschen, so befürchtet der „Polnische Sozialrat“ könnten von diesem Massenrausschmiß betroffen sein. Anderslautende Gerüchte dementierte der Sprecher des Innensenators, Thronicker, gestern. Aufgrund konzertierten Protestes der AL, des Sozialrates und der Ausländerbeauftragten, so ein Gerücht, erwäge man im Hause von Innensenator Pätzold, die Weisung erst einmal auszusetzen und die Ausländerbehörde zu stoppen. Dies wurde von Mitarbeitern zumindest in Gesprächen mit Frau John und Betroffenenorganisationen geäußert. Dazu Thronicker: „Es gibt keine Bestrebungen, irgendetwas auszusetzen oder zu präzisieren.“

Eine Aussetzung scheint jedoch dringend nötig, da die Ausländerbehörde den Interpretationsspielraum der Weisung für eine „Polenaktion“ nutzt, wie von Mitarbeitern der Ausländerbehörde gegenüber Anwälten geäußert wurde. Grundlage der Ausreiseaufforderungen ist ein Beschluß der Innenministerkonferenz (IMK) vom April 1989, wonach nun auch ehemalige Asylbewerber aus Ostblockländern abzuschieben sind. Dieser Beschluß wurde von Innensenator Pätzold endgültig im Dezember 1989 umgesetzt. Umstritten ist dabei nicht die Tatsache, daß in Polen nicht mehr politisch verfolgt wird. Von der „Polenaktion“ betroffen sind jedoch zahlreiche Menschen, die oft schon vor Jahren Polen verlassen haben - im Vertrauen auf die bislang gültige Praxis: Polen wurden auch nach Ablehnung ihres Asylantrages nicht abgeschoben, sondern erhielten eine Duldung.

Von der Ausweisung bedroht sind Polen, die bis zum Stichtag, dem 1.Dezember 1989, noch keine fünf Jahre in Berlin gelebt und keine Aufenthaltserlaubnis haben. Die Regelung enthält eine weitere Fußangel: wer nach Ablehnung seines Asylantrages in Berlin geduldet worden war, darf nur bleiben, wenn er keine Sozialhilfe bezieht - „insbesondere indem er in einem legalen Beschäftigungsverhältnis steht“, also eine Arbeitserlaubnis hat. Dieses Kunststück dürfte kaum einem polnischen Bürger gelingen, denn in aller Regel verweigern die Arbeitsämter die Arbeitserlaubnis. Selbst wenn der Betreffende einen Job gefunden hat, gilt in den Arbeitsämtern die Devise: Deutsche und „bevorzugte Ausländer“ haben Vorrang.

Dies will der „Polnische Sozialrat“, aber auch die Ausländerbeauftragte geändert wissen. Beide fordern eine Altfallregelung: Polen, die vor dem 1. Dezember 1989 in Vertrauen auf die alte Praxis eingereist sind, sollen bleiben dürfen. Damit sie nicht wieder in den Teufelskreis von Arbeits-, Sozialamt und Schwarzarbeit gedrängt werden, „müssen sie sich auch eine Arbeit suchen können - und zwar mit Arbeitserlaubnis“, erklärte Hans-Peter Meister vom Sozialrat. In einem Brief haben sich Mitglieder des Sozialrats auch an den polnischen Ministerpräsidenten Mazowiecki gewandt und um Unterstützung der hier lebenden Polen gebeten. Darin wurde auch auf die katastrophale Situation verwiesen, die die Betroffenen nach ihrer Ausweisung erwartet: in Polen hatten sie alles aufgegeben Arbeit und Wohnung. Angesichts Wohnungsknappheit und steigender Arbeitslosigkeit ist der Abstieg ins soziale Elend bei vielen vorprogrammiert.

Sollte die „Polenaktion“ nicht umgehend gestoppt werden, will die AL das Thema auf der nächsten Ausländerauschußsitzung zur Sprache bringen.

anb