Eine Amerikanerin in Berlin

■ Marcia Pally aus New York betrachtet die Berlinale

In Pedro Almodovars Film Tie Me Up, Tie Me Down! (Atame! - „Fessle Mich!“) sieht man, wie ein kleiner Tiefseetaucher als Plastik zum Aufziehen langsam, aber stetig die pfirsichzarten Schenkel der badenden Victoria Abril hinaufklettert. Die indiskrete Kamera folgt ihm dabei zu ihrem Vergnügen. Ich möchte zu gerne wissen, wo man sowas kaufen kann. Es scheint, als habe Almodovar das Ding irgendwo auf dem Flughafen von Washington D.C. gekauft und kurzerhand die passende Szene dazu erfunden. Daneben enthält der jüngste Film dieses spanischen Regisseurs, der sein Publikum so gerne provoziert („Law of Desire“ und „Matador“), noch eine Reihe weiterer kleiner Bosheiten, zum Beispiel einen Fernsehwerbespot für eine Altersversorgung mit glückstrahlenden deutschen Senioren, die ihr Geld in ihrer Nazijugend auf die hohe Kante gelegt haben, und ein Drehbuch, das mit folgendem Dialog beginnt: „Du hast aber wieder dick in den Schminktopf gelangt“. - „Naja, irgendwo muß ich ja hinlangen...“ Ich hatte gehofft, Almodovar hätte auch das zweite „dick“ noch gewagt, aber er hat darauf verzichtet. Und genau da liegt sein Problem. Der Film ist einfach nicht frech genug. Es geht um eine zweitrangige Filmschauspielerin (Abril), die von einem schrecklich süßen Kerl, der ohne sie nicht mehr leben kann, gekidnappt und ans Bett gefesselt wird. Fessle mich! wirkt wie Almodovars Huldigung an Dornröschen. Aber Pedro, wir mochten Dich lieber, als Du böse warst.

Je mehr Mühe sich Almodovar gab, die Story zu glätten und sie glaubhafter zu machen, um so stärker provozierte er (auf einer wirklich plattfüßig-trampeligen Pressekonferenz) eine „ernsthafte“ moralische Diskussion über Fesselung und andere S/M-Praktiken, die völlig an dem vorbeiging, was den Film auszeichnet, nämlich das ironische Spiel mit dem Genre der B -Filme und allerlei modischen Erscheinungen. Almodovar versuchte sich mit ein paar klugen Definitionen zu wehren „In jeder Beziehung gibt es Regeln, die von den jeweiligen Partnern diktiert werden, und ich lehne es ab, mir von Außenstehenden sagen zu lassen, wie man eine leidenschaftliche Beziehung auslebt.“ Die Blaustrümpfe blieben jedoch unerbittlich, besonders die aus Amerika und aus der Bundesrepublik - obwohl es doch gerade in diesen Ländern zumindest seit einiger Zeit eine starke Tradition des Schutzes der Privatsphäre des einzelnen gibt. Almodovar wuchs in Francos Spanien auf, und ich frage mich, wie sein Film in Osteuropa wohl ankommen wird. Was mich betrifft, so liegt das Problem bei diesem Film nicht darin, daß er unmoralisch ist - er ist einfach nicht unmoralisch genug. In der Vergangenheit hat Almodovar sein Publikum mit seiner Verherrlichung menschlicher Perversionen geradezu verführt und an unser Verständnis für uns unser Vergnügen an den kleinen Abweichungen der menschlichen Psychologie appelliert. Mit dieser allzu einfach gestrickten Geschichte jedoch bewirkt er nur, daß unsere Vernunft, die sich so gerne in alles einmischt, wieder einmal die Oberhand behält.

Ein Journalist meinte auf der Pressekonferenz, Almodovar hätte das Problem des feministischen Realismus dadurch umgehen können, daß sowohl den Kidnapper als auch das Opfer von einem Mann gespielt werden sollten. Antonio Banderas (man stelle sich einen jungen, dunkelhäutigen Paul Newman vor) spielt den Kidnapper, und mehrere männliche Zuschauer erboten sich sofort und laut vernehmlich als Opfer an.

Noch alberner, als Almodovar mit erhobenem Zeigefinger zu kommen, ist es jedoch, dasselbe mit Danny De Vito zu tun. Falls jemand hofft, in seinem neuen Film Rosenkrieg neue Erkenntnisse über Ehe und Scheidung zu finden, so kann ich nur sagen, daß dieser Film mit Beziehungskisten etwa so viel zu tun hat wie Casablanca mit Marokko. Rosenkrieg handelt von nichts anderem als Mr. De Vitos liebenswert schwarzer Seele und seiner immer eleganteren Kameraführung. Es gibt in diesem Film Einstellungen, bei denen De Palma mit seinen Untouchables vor Neid erblassen müßte.

Auch Blue Steel konzentriert sich ganz auf äußerliche Eleganz. Der Film schildert eine polizeiliche Jagd nach einem psychopathischen Mörder, der unter Phantasien eines Todeskults leidet (Ron Silver), und ist von einer geradezu unheimlich wirkenden Glätte - kaum überraschend bei der Regisseurin Kathryn Bigelow (von der auch der klassische Horrorfilm Near Dark stammt) und den Produzenten Ed Pressman und Oliver Stone. Und ich war schon immer der Meinung, daß Jamie Lee Curtis einen großartigen Clint Eastwood abgeben würde. Mit ihrer äußerlich harten Erscheinung spielt sie die Rolle der rächenden Polizistin (die erfrischenderweise nur wenige „verweiblichende“ Klischees bemüht) mit Überzeugung und Souveränität. Leider kann der Plot des Films da nicht mithalten, der zahlreiche Sprünge und Lücken aufweist und wie ein altmodischer Horrorfilm, in dem das Monster erschossen, überfahren, zerrissen und zerquetscht wird und trotzdem nicht stirbt. Bigelow ist ein wirkliches filmisches Talent, aber sie bräuchte einfach jemand anders an der Schreibmaschine. Übersetzung: Hans Harbort