„Ich finde Männer schrecklich aufregend“

■ Lana Turner: Vom Pin-up zur Charakterdarstellerin / ARD-Filmreihe zum 70.Geburtstag der Schauspielerin

Selbst das Geburtsdatum des properen Starlets Lana Turner, dem formvollendeten Kunstprodukt der Traumfabrik Hollywood schlechthin, ist umstritten. Während einige Biographen auf dem 8.Februar 1920 insistieren, favorisiert die Filmdiva selbst 1921: „Warum sollte ich wegen einem Jahr lügen?“

Der Versicherungsvertreter Virgil Turner, der für das leidliche Auskommen mit der Familie immerfort umherziehen und den Namen wechseln mußte, brachte der kleinen Lana, damals noch Julie, das Tanzen bei, bevor sie acht Jahre alt war. Als sie zehn war, wurde der Vater bei einem Straßenraub ermordet, Tod eines Handlungsreisenden.

„An zwei Dinge erinnere ich mich genau“, resümmiert Lana ihre Kindheit. „Ich war nie sicher, wie mein Name lautete, und mein Vater tanzte mit mir.“ Wer sie wirklich ist, sollte sie auch bis heute nicht erfahren. Lana war 15, als ihre Mutter auf ärztliches Anraten das Klima wechselte und 1937 von San Francisco nach Los Angeles übersiedelte. Der Rest liest sich wie ein nahtlos gestrickter Mythos.

In einer Erfrischungshalle, die heute sagenumwobener Wallfahrtsort ist, wurde die attraktive, selbstbewußte Flaneurin vom Herausgeber einer Hollywood-Gazette entdeckt. Zunächst widerstrebend sog sie der Mahlstrom des Film -Busineß auf, bis Warner sie noch im gleichen Jahr für eines ihrer Sozialdramen, They won't forget, unter Vertrag nahm.

Der Film, in dem sie als Opfer eines Triebtäters nur einmal kurz zu sehen ist, wie sie eine Straße entlanggeht, begründete über Nacht ihr „sweater-sexy-schoolgirl-image“. „Das Mädchen auf der Leinwand sah unschuldig aus, zugleich wie eine reife Frucht, die darauf wartete, gepflückt zu werden“, kommentierte die Ahnungslose ihren Auftritt. Die Presse überschlug sich, und die Textilindustrie verbuchte eine Konjunktur auf dem Sweatshirt-Sektor. Die Mädchen wollten plötzlich alle aussehen wie Lana Turner, und ihre Boyfriends wollten das auch. Nach einigen effektvollen Hauptrollen in mäßigen Filmen wie Nicht schwindeln, Liebling von 1939 (Dancing CO-ED, deutsche Erstaufführung am 4.Februar), die Öl auf dieses Feuer gossen, beschloß Studiochef Louis B. Mayer, sie zum Star heranzuziehen. Problemlos passierte die gerade 19jährige die Maschinerie der Publicity und avancierte zum beliebtesten Pin-up der Kriegsjahre. Kein Spind ohne ihre Beine. Es gab Lana Turner -Comics, Lieder wurden über sie geschrieben, sogar ein Flugzeug benannte die Air Force nach ihr.

Die Rechnung ohne den Wirt (The Postman always rings twice, 23.März) markierte den ersten Wendepunkt in ihrer lückenlosen Karriere und begründete ihr neues Image als treulose Ehefrau. Unablässig changiert sie in diesem Psychodrama zwischen den Liebreizen einer exotisch exponierten Traumfrau in strahlend weißem Outfit und kühl berechnender Unnahbarkeit einer Femme Fatal. Ihre Wirkung bezog sie aus einer perfekten Mischung zwischen dem naiven Mega-Sex-Appeal einer Monroe und der abwiegelnden, großmütterlichen Erotik einer Doris Day.

Trotz des unaufhaltsamen Aufstiegs der Monroe wurde die Turner im Juli 1951 von der „Academy of Contemporary Art“, einer Vereinigung von Künstlern, Designern und Journalisten, zur „glamourösesten Frau in der Geschichte der internationalen Kunst“ gekürt. Für ihr Stammpublikum waren die Filme eine immergleiche Verpackung ihres persönlichen Mythos. Der nachhaltige Erfolg ließ die Produzenten nachlässig werden. Es folgte eine Reihe flacher Soapoperas wie Die lustige Witwe von 1952. (The merry widow am 16.März), bis die Turner 1956 ihren Vertrag mit MGM löste. Nach 18 Jahren „golden girl“ benötigte die Karriere der mittlerweile 35jährigen frischen Wind.

Den bekam sie in Douglas Sirks effektvollem Melodram Solnge es Menschen gibt von 1959 (Imitation of Life), mit dem die Turner-Reihe heute abend eröffnet wird. Auf seine eigentümlich künstlerisch-künstliche Weise, die Fassbinder zu hysterischen Lobeshymnen inspirierte, erzählt Sirk die Geschichte der arbeitslosen Schauspielerin und Mutter, Lora Meredith, die sich einschlägigen Angeboten finsterer Filmbosse widersetzt und wegen einer daraufhin redlich erarbeiteten Karriere ihre Liebe zum Photographen Steve Archer aufgibt.

David Lowell Richs Madame X von 1965 (am 2.März) unterstrich ihr Können als Charakterdarstellerin. Durch eine gemeine Intrige ihrer übereifrigen Schwiegermutter ins Exil getrieben, fristet die loyale Ehebrecherin, die den Ruf ihres Mannes nicht schädigen will, unerkannt ein tragisches Trinkerdasein in Mexiko. Diese Darstellung zählt zu den eindrucksvollsten Rollen der Turner, die es wie kaum eine zweite verstand, ihr Privatleben skandaltächtig zu inszenieren.

Ihre Ehen und Romanzen - Hollywoodgrößen wie Sinatra, Howard Hughes, Tyrone Power, Fernando Lamas, Artie Shaw und Lex Barker gehörten zu ihren wechselnden Liebhabern hielten über Jahrzehnte hinweg die Klatschkolumnen der amerikanischen Regenbogenpresse beschäftigt. Die größten Schlagzeilen brachte seinerzeit der Tod ihres Liebhabers Johnny Stompanatos alias Johnny Valentine, ehemals Leibwächter des Gangsters Mickey Cohen und umschwärmter Gigolo. Kenneth Anger, der bösartige Hollywood-Biograph, beschreibt die blutige Szene so: „Als Jerry Geisler, Hollywoods prominentester Rechtsanwalt, am 4.April 1958 in die Villa des ehemaligen Pullovermädchens in Beverly Hills kam, fand er eine in Tränen aufgelöste Lana vor; ihre Tochter Ceryl Crane befand sich am Rande der Hysterie. Dann sah Geisler den Grund - einen Gegenstand, der im krassen Gegensatz zum niedlichen Rosa von Lanas Schlafzimmer stand: die blutige Leiche Stompanatos. Kurz nach seiner Ankunft in Hollywood war der hübsche und selbstbewußte Johnny bei gewissen prominenten Damen der Filmkolonie sehr berühmt gewesen; sein hervorstechendstes körperliches Kennzeichen hatte ihm den Spitznamen „Oskar“ eingebracht - nach dem dreißig Zentimeter langen Filmpreis.“ Die Tochter hatte den rasend eifersüchtigen Liebhaber mit einem Küchenmesser erstochen, weil sie glaubte, er würde ihrer Mutter etwas antun. Im dem folgenden späktakulären Prozeß wurde sie freigesprochen. Lana Turners Kommentar zu männlichen Gewalttätigkeiten: „Ich finde Männer schrecklich aufregend, und jede Frau, die das Gegenteil behauptet, ist eine blutleere alte Jungfer, ein Strichmädchen oder eine Heilige.“

Weitere Filme, die in der ARD-Reihe zu sehen sein werden, sind Diane - Kurtisane von Frankreich (am 16.Februar) und Tempel der Versuchung (The Prodigal, am 25.Februar), beide aus dem Jahr 1955.

Manfred Riepe