„Ich bin viel weniger aus Stahl, als ich annahm“

■ Bisher unveröffentlichte Briefe Nelson Mandelas an seine Familie: der Patriarch steuerte die Geschicke des Clans

An seine Frau Winnie

Seit du inhaftiert wurdest, habe ich nur einen Brief bekommen, den mit Datum vom 22.August. Ich weiß überhaupt nichts über die familiären Dinge, die Mietzahlungen, Telefonrechnungen, wie für die Kinder gesorgt wird und was das kostet, ob du einen Job bekommen wirst, wenn du rauskommst. Solange ich nichts von dir höre, werde ich mir weiter Sorgen machen und mich wie ein Verdurstender in der Wüste fühlen. Ich habe keinen Brief von dir bekommen und fühle mich nun ausgedörrt wie der Wüstensand. Briefe von dir und von der Familie sind wie Sommerregen und Frühling, die mich aufleben lassen und mir das Dasein verschönern. Immer wenn ich dir schreibe, spüre ich tief in mir drin diese Wärme, die mich alle Probleme vergessen läßt. Ich bin dann ganz von Liebe erfüllt.“ (26.10.76)

„Ich habe Pläne, Wünsche und Hoffnungen. Ich träume und baue mir Luftschlösser. Ich weiß nicht, wie ich diese Träume deuten soll. Doch sie weisen zumindest darauf hin, daß ich in meinem Innern viel weniger aus Stahl bin, als ich angenommen habe, und daß die Entfernung und zwei Jahrzehnte der Trennung diesen Stahl in mir wegen der Angst um die Familie nicht härter gemacht haben.“ (28.6.80)

„In Zeiten wie diesen vermisse ich dich mehr als jemals zuvor. Viele Male zuvor habe ich dir schon von den einfachen Dingen des Lebens erzählt, die ich in den letzten 16 Jahren am meisten vermißt habe: mit dir zusammen in Jeppe oder Chancellor Street, bei Boxturnieren, Musikfestivals, Filmveranstaltungen, bei Nqanqu, auf dem Lande, die unvergeßlichen Tage in Nr.8115 (Haus der Mandelas in Orlando West/Soweto, d.Red.) und der schönste aller Augenblicke - wenn man die Tür des Schlafzimmers hinter sich schließt.“ (19.11.79)

„An den 14.Juni 1958 erinnere ich mich voller Wehmut. Wie wir trotz der schwierigen Zeit zum Altar gegangen sind, der Hochverratsprozeß, wie ich Johannesburg nicht verlassen durfte, die Schulden, die wir anhäuften, wie wir die Verbindlichkeiten nicht ablösen konnten, wie du dich bei Gelegenheiten im Hintergrund halten mußtest, bei denen es dein gutes Recht gewesen wäre, das Scheinwerferlicht mit mir zu teilen. Diese Dinge erschüttern mich wie nichts anderes zuvor. Das war unser Kreuz, das wir, so hoffe ich, einigermaßen brav getragen haben. Ich habe an diesem Tag viel an dich gedacht. Jedesmal glühe ich richtiggehend und sehne mich danach, dich zu umarmen und die elektrischen Schläge, die deine Haut der meinen mitteilt, deine Mitte und deinen Herzschlag zu spüren. In drei Jahren feiern wir unsere Silberhochzeit - wo und wie wird das sein? Bis wir uns wiedersehen.“ (29.6.80)

An die älteste Tochter Makie

Ich habe Dir bereits gesagt, und ich wiederhole es noch einmal, wir sind in der Lage, dafür zu sorgen, da du zur Universität gehst. Heutzutage ist eine Unversitätsausbildung entscheidend, selbst wenn dein Ehrgeiz nur dahin geht, bloß Krankenschwester zu werden. Strebsamere Mädchen erwerben erst einen akademischen Grad und werden dann Krankenschwester und steigen so schneller in verantwortliche und einflußreichere Positionen auf. Deine Mutter war zumindest in der Lage, diese Position (Krankenschwester) vor 34 Jahren zu erlangen, was damals eine ziemliche Leistung war. Willst du mir etwa erzählen, du glaubst, nicht mehr erreichen zu können als deine Mutter vor drei Jahrzehnten? Denk immer daran, Makie, du bist erst 24, und die ganze Welt liegt dir zu Füßen. Überleg es dir genau und beeil dich dabei. Dein dich liebender Tata.“ (6.11.78)

„Ich muß darauf hinweisen, wie enttäuscht ich bin, daß du dieses Jahr nicht studieren wirst. Ich habe die ganze Angelegenheit mit dir so sorgfältig erörtert, wie ich nur konnte, und es tut mir leid, feststellen zu müssen, daß du dich trotz all meiner Anstrengungen und entgegen all deinen Versprechen dazu entschlossen hast, dich mit dem Status einer ausgebeuteten und armseligen Sozialarbeiterin von niederer akademischer Qualifikation zufriedenzugeben, der es betrüblicherweise an dem Ehrgeiz und Antrieb fehlt, der die ernsthaftere Jugend von heute motiviert. Viele deiner Kameraden aus den 50ern erwerben jetzt höhere akademische Grade und machen im Ausland den Magister oder gar ihren Doktor, während du weiter in deinem hinterwäldlerischen Ghetto bleibst und unfähig bist, den Leuten eine vernünftige Unterstützung zuteil werden zu lassen.“ (31.1.83 Mandelas Drängen stieß nicht auf taube Ohren. Makie zog zu den Meers nach Durban, machte ihren Magister in Soziologie an der Uni von Natal und bekam ein Fulbright-Stipendium in den USA, um dort zu promovieren, d.Red.)

An die Tochter Zeni

„Du sollst wissen, daß ich die alte Hoffnung, die uns beide schon seit 1977 beschäftigt - deine Ausbildung - noch nicht aufgegeben habe. Wegen all dieser Verzögerungen werde ich richtig unruhig. Das ist jetzt das dritte Jahr, daß du von der Schule weg bist, und Mum und ich werden furchtbar enttäuscht sein, wenn du aus irgendeinem Grund nicht vor dem nächsten Juni in die USA gehst. (1.7.79 - Zeni hatte 1977 noch während ihrer Gymnasialzeit den Swazi-Prinzen Thumbumuzi geheiratet und in kurzer Zeit drei Kinder geboren. Auch bei ihr monierte Mandela fehlenden Ehrgeiz und fürchtete, sie würde nie mehr die Kurve kriegen. Er besorgte für Zeni und ihren Mann Stipendien in den USA, d.Red.)

An die Tochter Zindzi

„Du bist eines der glücklichsten Mädchen im Lande, daran habe ich dich schon früher erinnert und tue es jetzt wieder. Du bist deinem Alter voraus gewesen und hast bereits Leistungen vollbracht, die nicht nur für die Familie und die Verwandtschaft, sondern auch für Freunde und sogar für Menschen, die dir nie begegnet sind, eine wahre Quelle der Freude und des Glücks sind. (Zindzi hatte mit 15 einen Gedichtband veröffentlicht, d.Red.) Dein Bild auf meinem Bücherregal zwischen dem von Mum und Zeni spiegelt sehr gut deine Persönlichkeit wider. Du wirkst aufgeweckt, voller Schwung und entspannt, als lebtest du mit dir selbst und der Welt in Frieden. Wenn du dich hieran bewußt erinnerst, werden sich deine Depressionen auf ein Minimum beschränken... Es gibt auf dieser Welt nur wenige Unglücke, die man nicht in einen persönlichen Triumph für sich verwandeln kann, wenn man den eisernen Willen und das notwendige Geschick dazu hat. Du, mein Liebling, hast beides.“ 25.3.79 - Zindzi Mandela blieb die ganze Zeit bei ihrer Mutter und verbrachte auch mit ihr die acht langen Jahre in der Verbannung in Brandfort. Laut Fatima Meer litt und leidet sie am meisten unter den der Familie zugefügten Traumata. Ihren Vater sah sie zum ersten Mal mit 15, im Jahr 1976, d.Red.)