Hat De Klerk den Mut zur Klarheit?

Auf die heutige Rede zur Eröffnung des südafrikanischen Parlaments blicken alle / Hoffnungen wurden vom neuen südafrikanischen Präsidenten selbst geschürt / Das Klima in Südafrika hat sich in seiner Substanz nur wenig geändert / Mandela-Freilassung ein Thema  ■  Aus Kapstadt Hans Brandt

Man muß es Frederick De Klerk lassen - trotz der sich oft fast überschlagenden Ereignisse der letzten Monate hat es der südafrikanische Präsident geschafft, die Situation zu seinen Gunsten zu nutzen. Vor der Weltöffentlichkeit wird De Klerk heute seine lang erwartete Rede zur Eröffnung des Parlaments halten. Doch die wenigsten Beobachter glauben, daß der Präsident tatsächlich auch ein genaues Datum für Nelson Mandelas Freilassung nennen wird. Dennoch - eine bessere Inszenierung für seine Regierungserklärung kann Frederick De Klerk sich nicht wünschen.

Andererseits, und das weiß De Klerk auch, können die hochgeschraubten Erwartungen ebenso gefährlich sein. Das erfuhr De Klerks Vorgänger Pieter W. Botha im August 1986. Damals hatte er seinen Außenminister nach Europa geschickt, um die Welt im voraus auf seine wichtige Ansprache aufmerksam zu machen. Doch die in die Geschichte eingegangene „Rubikon„-Rede entpuppte sich als Desaster. Statt Reformen anzukündigen, präsentierte Botha das berühmte vorgestreckte Kinn, den drohend erhobenen Finger und die bullige Stirn. Daraufhin wurde der Kreditstopp gegen Südafrika verhängt, Sanktionen wurden verhängt und das Land in eine Krise gestürzt.

De Klerk weiß, daß er für die Erwartungen, die an ihn gestellt werden, verantwortlich ist. Seit seiner Amtsübernahme im August letzten Jahres hat er um Zeit gebeten. Immer, wenn es um eine Konkretisierung seiner Pläne ging, verwies er auf die heutige Rede. Zwar hat der neue Präsident einiges getan, um eine hoffnungsvollere Atmosphäre in Südafrika zu schaffen. Substantiell hat sich aber noch nicht viel bewegt. De Klerk kam zu einer Zeit an die Macht, als eine landesweite Widerstandskampagne gegen die Apartheid überall im Land zu Demonstrationen führte. Die Kampagne erreichte ihren Krisenpunkt am Abend der Parlamentswahlen Anfang September. Bei Protesten gegen den Ausschluß der schwarzen Mehrheit von den Wahlen eröffnete die Polizei in Kapstadt das Feuer und erschoß über 20 Menschen. „Die Polizei hat absichtlich versucht, eine Situation zu schaffen, in der sie unsere Leute niedermähen konnte“, sagte Cheryl Carolus, Sprecherin der Vereinigten Demokratischen Front (UDF) in Kapstadt. Die UDF kündigte daraufhin einen Riesenmarsch gegen Polizeibrutalität in Kapstadt an.

De Klerks Reaktion auf diese Situation überraschte. Statt mit eiserner Faust die Proteste zu unterdrücken, kündigte er an, daß friedliche Demonstrationen erlaubt würden. Und er erklärte sich bereit, mit Vertretern der Opposition zu sprechen. „Unsere Tür steht offen“, sagte er. Es folgten triumphale Anti-Apartheid-Demonstrationen im ganzen Land, an denen sich Hunderttausende beteiligten.

Mitte Januar forderte der neue Präsident die Polizei ausdrücklich auf, sich seinen Anweisungen zu fügen und aus der Politik herauszuhalten. Im Dezember, kurz vor Beginn der Sommersaison, schaffte er die Rassentrennung an Stränden ab und kündigte deren baldige Abschaffung auch in anderen öffentlichen Einrichtungen an. Die stärkste Wirkung hat De Klerk allerdings mit Maßnahmen erzielt, die eine Annäherung an den verbotenen Afrikanischen Nationalkongreß (ANC) vermuten lassen. Die im Oktober erfolgte Freilassung des ehemaligen ANC-Generalsekretärs und engen Freundes von Nelson Mandela, Walter Sisulu, zusammen mit sieben anderen prominenten politischen Gefangenen hat dem ANC eine halblegale Präsenz innerhalb Südafrikas gegeben. Auch die andauernden Kontakte zwischen Mandela und Regierungsvertretern deuten auf „Gespräche über Verhandlungen“ hin.

Doch vieles bleibt noch unklar. De Klerk hat seine eigenen Vorstellungen, wie ein Südafrika ohne Apartheid aussehen könnte, nie konkretisiert. Er betonte lediglich wiederholt, daß er eine Beherrschung der Weißen durch Schwarze nicht akzeptieren wird. Auch die Zulassung friedlichen Protestes hat einen Haken - Demonstrationen müssen jetzt genehmigt werden. Das geschieht oft nur mit Auflagen, die Anti -Apartheid-Gruppen nicht akzeptieren können. So sind in den letzten Tagen verschiedene „illegale“ Demonstrationen von der Polizei unter Einsatz von Tränengas beendet worden. Zudem besteht der seit 1986 gültige Ausnahmezustand nach wie vor. Und auch in der Annäherung an den ANC hat De Klerk noch keine vollendeten Tatsachen geschaffen - alles ließe sich noch rückgängig machen.

Von De Klerks Rede heute wird also vor allem Deutlichkeit erwartet - Deutlichkeit darüber, wie und wann er Apartheid abschaffen will; ein deutliches Bekenntnis zu Rede- und Versammlungsfreiheit durch die Aufhebung des Ausnahmezustandes; und nicht rückgängig zu machende Schritte auf dem Weg zu Verhandlungen mit dem ANC: die Freilassung Mandelas und anderer politischer Gefangener und die Aufhebung des Verbots des ANC und anderer Organisationen. Die Frage ist, ob De Klerk dazu genug Mut hat.