Thatcher: Ich habe über Geheimdienst gelogen

Geheimdienst führte Desinformationskampagne „Clockwork Orange“ in Nordirland / Mordanschläge der Armee? / Prominente Politiker betroffen  ■  Aus Dublin Ralf Sotscheck

Ja, Armee und Geheimdienste hätten „schmutzige Tricks“ in Nordirland angewandt. Ja, sie habe das Unterhaus über diese Tatsache belogen. Aber sie sei selbst jahrelang Falschinformationen aufgesessen. Dies gab die britische Premier Margaret Thatcher jetzt zu.

Die britische Regierung erklärte weiter, eine Überprüfung alter Akten habe jetzt ans Licht gebracht, daß der ehemalige Armeeoffizier für Propaganda, Colin Wallace, seit zehn Jahren die Wahrheit sagt: Der Geheimdienst MI-5 hat in den siebziger Jahren eine Rufmordkampagne gegen Labour-Politiker und liberale Tories geführt. Die Opfer, unter anderem Edward Heath, Harold Wilson, Tony Benn und David Owen, sollten als verkappte Kommunisten oder als Homosexuelle „entlarvt“ werden.

Innerhalb der „Operation Clockwork Orange“ wurden außerdem Falschinformationen und gefälschte Dokumente verbreitet, um „staatsfeindliche Organisationen“ zu diskreditieren. Dazu gehörte auch eine Aktion vom November 1973, als die Armee ausgerüstet mit gefälschten CIA-Ausweisen - auf dem Belfaster Flughafen Aldergrove Bombenattrappen legte. Darüber hinaus bestätigte die britische Regierung, daß der nordirische Soldat William Black vor 16 Jahren von einem Kollegen mit einer schallgedämpften Maschinenpistole erschossen worden sei, weil er ihn angeblich bedroht habe. Bisher hatte Thatcher geleugnet, daß eine solche Waffe überhaupt zur Ausrüstung der Armee gehöre.

Als Wallace Ende 1974 aus der „Operation Clockwork Orange“ ausstieg, wurde er aus der Armee entlassen. Als Kündigungsgrund gab die Armeeführung an, Wallace habe geheime Informationen an den damaligen 'Times'-Journalisten Robert Fisk weitergegeben. Das bestritt Wallace zwar nicht, sagte jedoch, daß die Lancierung von Informationen eindeutig zu seinen Aufgaben gezählt habe. Diese „ungerechtfertigte Kündigung“ ist der einzige Punkt, der nun von einem Regierungsausschuß untersucht werden soll.

Doch Wallaces Beschuldigungen gehen viel weiter. Wallace behauptet, daß der MI-5 einen Mord begangen und ihm in die Schuhe geschoben habe, um ihn zum Schweigen zu bringen.

Kurz nachdem Wallace der 'Irish Times‘ 1980 Material für eine Serie über die Operationen des MI-5 geliefert hatte, wurde er wegen Mordes an seinem Bekannten Jonathan Lewis angeklagt und schließlich wegen Totschlags unter fadenscheiniger Beweisführung zu zehn Jahren Haft verurteilt. Wallace hatte gegenüber der 'Irish Times„'unter anderem geäußert, daß die Armee in Nordirland eine Mordkampagne gegen Katholiken geführt habe.

Außerdem haben die „Sicherheitskräfte“ und die Behörden jahrelang den Skandal um den Mißbrauch von Jungen im Kinderheim Kincora vertuscht, in den prominente nordirische und britische Politiker verwickelt waren.

Die Labour Party forderte gestern von Thatcher eine Erklärung vor dem Unterhaus. Indizien sprechen dafür, daß Thatcher mindestens seit ihrem Amtsantritt über „Clockwork Orange“ Bescheid wußte. Der Labour-Abgeordnete Brian Sedgemore sagte: „Niemand von rechtem Verstand glaubt, daß die Informationen aufgrund einer Überprüfung von Verwaltungspapieren ans Licht gekommen sind. Aus irgendeinem Grund, den wir nicht kennen, ist die Regierung dazu gezwungen worden zuzugeben, was sie bisher nicht zugeben wollte.“ Sein Parteikollege Ken Livingstone fügte hinzu: „Thatcher soll die offenen Fragen beantworten, denn sie ist die Hauptnutznießerin dieses Verrats, und sie ist die Architektin.“