Durch den Tunnel dem Todesurteil entflohen

■ Gefängnisausbruch in Chile wirft auch ein Licht auf Alwyns Amnestiepläne

Santiago (taz) - Von den fünfzig politischen Gefangenen, die in der Nacht von Montag auf Dienstag die spektakuläre Flucht aus einem Gefängnis in Santiago unternahmen, mußten sechs zurückbleiben: Sie waren die letzten, die durch den selbstgegrabenen Tunnel von hundert Meter Länge in die Freiheit wollten und wurden dabei von den alarmierten Gefängniswächtern geschnappt. Nach Angaben der chilenischen Hilfsorganisation „Juristisches Büro - Compromiso de Justicia“ befinden sich die sechs Männer zur Zeit in Isolationshaft. Sie durften jedoch von einer Delegation des Internationalen Roten Kreuzes untersucht werden, die ihren Gesundheitszustand als angeschlagen, aber nicht bedenklich bezeichnete. Der Direktor des hochbewachten Gefängnisses in unmittelbarer Nähe des Regierungspalastes ist mittlerweile zurückgetreten.

Ein Jahr lang hatten die Gefangenen dazu gebraucht, um den einhundert Meter langen Tunnel zu graben. Von den Ausbrechern hat die chilenische Polizei bislang noch keine Spur. Die meisten der Ausbrecher gehörten zur Zeit ihrer Inhaftierung der militanten Untergrundorganisation „Frente Patriotico Manuel Rodriguez“ oder der Befreiungsbewegung MIR an, einige sind Angehörige der chilenischen KP. Unter den erfolgreichen Flüchtlingen befanden sich neun zum Tode Verurteilte und einige so führende Figuren des Frente wie Victor Diaz Caro. Er hatte 1986 an dem mißglückten Attentat gegen den Diktator Pinochet teilgenommen und war daraufhin verhaftet, gefoltert und zum Tode verurteilt worden. Einem der sechs Gefangenen, denen die Flucht durch den Tunnel nicht gelang, Manuel Araneda Gonzalez, droht ebenfalls die Todesstrafe.

Unmittelbar nach Bekanntwerden des Ausbruchs versammelten sich Angehörige der Flüchtlinge zu einer Mahnwache vor der Kathedrale in Santiago, gestern zogen DemonstrantInnen durch die Hauptstadt, die die Freilassung aller politischen Gefangenen forderten. Während der Ausbruch von seiten der Militärs scharf verurteilt wurde, äußerte sich der künftige Innenminister Enrique Krauss zurückhaltender: Die Flucht zeige, wie schwerwiegend das Problem der politischen Häftlinge sei.

Die rund 500 politischen Gefangenen Chiles hatten bereits vor Patricio Alwyns Wahl zum Präsidenten dessen Amnestieversprechungen als unannehmbar kritisiert. Begnadigen will er nach seinem Amtsantritt im März nur sogenannte Gewissensgefangene - für Aylwin Angeklagte, die keine Gewalttat begangen haben. Für die große Mehrheit der übrigen politischen Häftlinge sollen neue Verfahren aufgerollt werden.

Wie das Juristisches Büro mitteilte, versuchen die entflohenen politischen Gefangenen, außer Landes zu kommen. Das Juristische Büro richtete einen Appell an die „demokratischen Regierungen in aller Welt“, den Entflohenen Asyl zu gewähren.

go

Spendenkonto für die politischen Gefangenen: „Karin Eitel Villar“, Postgiroamt Köln, BLZ 37010050, Ktonr.: 397640 -505