Iserlohner Milch ist voller Dioxine

Mangels Rechtsgrundlagen gibt es keinen Verbraucherschutz  ■  Von Bettina Markmeyer

Essen (taz) - Im sauerländischen Iserlohn sind erneut hohe Dioxinkonzentrationen in der Rohmilch und zum Verkauf bestimmter H-Milch der Iserlohner Molkerei festgestellt worden. Das zuständige Lebensmitteluntersuchungsamt in Lüdenscheid ermittelte Konzentrationen zwischen 1,35 und 3,49 Nanogramm pro Kilogramm Milchfett. Damit liegen die Dioxinwerte noch höher als jene, die im Oktober letzten Jahres in Iserlohner Milch gemessen wurden.

Die neuerlichen Messungen waren nach den Dioxinfunden im Oktober in Absprache mit dem nordrhein-westfälischen Umweltministerium angesetzt worden. Erstmals ist jetzt belegt, daß schon die aufgearbeitete, also vermischte Milch aus unterschiedlichen Gegenden, größere Mengen Dioxin enthält. Bisher sind in Iserlohn vor allem Rohmilchproben von Kühen untersucht worden, die im Umkreis der dortigen Müllverbrennungsanlage weiden oder mit dort angebautem Futter versorgt werden. Gemessen wurde bisher nur in Iserlohn. Wahrscheinlich ist aber, daß in ganz Nordrhein -Westfalen täglich Milch verkauft wird, deren Dioxingehalt höher ist, als selbst das Bundesgesundheitsamt (BGA) es für zuträglich hält.

Bei jedem neuen Dioxinfund stellt sich das alte Problem: Mangels eindeutiger und brauchbarer Grenzwerte für das krebserzeugende Gift können sich alle Beteiligten herausreden. Zwar erklärte das BGA nach dem Karlsruher Dioxinhearing am 19. Januar, die Belastungsgrenze für Menschen müßte auf unter 1 Pikogramm pro Tag und Kilogramm Körpergewicht gesenkt werden, nachdem man jahrelang bis zu 10 Pikogramm für erträglich gehalten hatte. Doch erstens liegen die Iserlohner Werte teilweise auch über dieser Grenze, und zweitens gibt es keine rechtliche Handhabe, den Milchverkauf „wg. Dioxin“ zu verbieten.

In einem Brief an den Oberkreisdirektor des Märkischen Kreises, der für die Iserlohner Dioxinmilch zuständig ist, empfiehlt das BGA, im Einzelfall zu prüfen, ob „die etwas höher belastete Milch“ - nach den im Lebensmittelrecht verankerten Verboten zum Schutz vor Täuschung - „als nicht geeignet angesehen werden muß, gewerbsmäßig in den Verkehr gebracht zu werden“. Gleichzeitig erklärt sich die Gesundheitsbehörde für solche Rechtsfragen als nicht zuständig und betont, daß natürlich „keine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung“ besteht. Im gleichen Atemzug werden dann aber „wirksame Maßnahmen zur Minimierung der Dioxin-Emission“ gefordert.

Die nordrhein-westfälischen Grünen forderten gestern Umweltminister Klaus Matthiesen (SPD) und Gesundheitsminister Hermann Heinemann (SPD) auf, „ab sofort landesweit keine Milch mit mehr als 2 Nanogramm Dioxin pro Liter zum Verkauf zuzulassen“. Das sollen regelmäßige Stichprobenuntersuchungen von Milch aus besonders belasteten Gebieten in der Nähe von Müllverbrennungsanlagen und metall und holzverarbeitenden Betrieben gewährleisten. Belastete und andere Milch dürfe nicht vermischt werden. Die betroffenen Landwirte, so die Grünen, seien vorläufig zu entschädigen.