Ersatzdroge Methadon auf Krankenschein

■ Das Modell Hamburg könnte für die Behandlung von Heroinabhängigen bundesweit Signalfunktion bekommen

In Hamburg werden jetzt erstmals die Kosten für die Behandlung mit Methadon von den Krankenkassen übernommen. Der unbürokatische Zugang zum Ersatzstoff scheint gegenwärtig die einzige Chance, Heroinabhängige vor der sozialen und gesundheitlichen Verelendung zu bewahren und die Beschaffungskriminalität einzudämmen. Die psychosoziale Betreuung wird der Senat übernehmen.

Wenn in Hamburg nach monatelangen Verhandlungen zwischen Senat und Krankenkassen Anfang nächster Woche endlich die letzte Unterschrift unter ein Kostenteilungsabkommen über die Methadon-Vergabe an Drogenabhängige gesetzt wird, dann ist damit bundesweit ein Durchbruch gelungen. Erstmals haben sich dann sämtliche Krankenkassen eines Bundeslandes offiziell verpflichtet, in Sachen Methadon die ärztliche Behandlung und das Medikament zu bezahlen. Die Kosten für die psychosoziale Betreuung der Junkies wird die zuständige Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS) übernehmen. Anders als in Nordrhein-Westfalen, Saarland, Niedersachsen oder Schleswig-Holstein, wo die Substitutionsprogramme nur als zahlenmäßig begrenzte wissenschaftliche Studien laufen, oder in Bremen, Berlin und allen anderen Bundesländern, wo die Vergabe der Ersatzdroge nur mit stillschweigender Duldung der Kassen erfolgt, wäre in Hamburg mit der Vertragsunterzeichnung eigentlich der Weg frei für die Methadon-Behandlung von Heroinabhängigen im großen Stil.

Zwar ist das Modell Hamburg Vorreiter für eine Drogenpolitik, die nach den bisherigen Erfahrungen im Ausland die einzige Chance zu sein scheint, die Drogenabhängigen vor der gesundheitlichen und sozialen Verelendung zu bewahren, sie zu reintegrieren und damit auch der immer bedrohlicher werdenden Beschaffungskriminalität einen Riegel vorzuschieben. Aber Hamburg ist auch im negativen Sinne Beispiel dafür, in welchem Maße sich das geltende Betäubungsmittelgesetz (BTM) als Hemmschuh für notwendige politische Entscheidungen entpuppt und wie die Klärung von Kostenstreitigkeiten vor rascher und unbürokratischer Hilfe Vorrang erhält. Denn noch immer schieben sich Behörden und Ärztevertretungen die Verantwortung für die Verabreichung des Methadon (in der BRD wird das Medikament L-Polamidon verwendet) gegenseitig zu. Das seit Sommer 1988 laufende Methadon-Programm der Hamburger Ärztekammer ist auf 32 Teilnehmer begrenzt. Und noch immer fehlen die räumlichen und personellen Voraussetzungen, um auch nur ein einziger weiterer Junkie kontinuierlich zu versorgen.

Gesundheits- und Sozialsenator Ortwin Runde (SPD) will die Methadon-Behandlung und -Vergabe auf lange Sicht vollständig den niedergelassenen Kassenärzten überlassen, während die Ärztekammer und die Kassenärztliche Vereinigung (KV) sich nur für die Behandlung und Verschreibung, nicht aber für die Vergabe der täglichen Polamidon-Dosis für zuständig erklären. Ihrer Meinung nach müssen in der Stadt dezentrale staatliche Vergabestellen eingerichtet werden, die die Versorgung der Abhängigen mit der Ersatzdroge auch an Wochenenden, Feiertagen und als Urlaubsvertretungen sicherstellen. Bisher hatten sich einzelne Apotheken für die Vergabe der in Orangensaft aufgelösten Polamidon-Tropfen bereiterklärt. Doch auch die Apothekerkammer weigert sich in Hamburg, diese ihrer Auffassung nach ärztliche Aufgabe bei einer zahlenmäßig wachsenden Klientel grundsätzlich zu übernehmen. Als Übergangslösung soll die kürzlich eingerichtete Methadon-Ambulanz mit zwei Sozialarbeitern und zwei Ärzten fungieren. Doch das bisher vorgesehene Team ist nicht bereit, neben der übrigen Arbeit auch noch 80 oder mehr Junkies an Wochenenden und Feiertagen den begehrten Stoff möglichst direkt in den Mund zu träufeln.

Strafrechtliches Risiko

Rundes Plan, die Methadon-Therapie in die normale ärztliche Versorgung zu integrieren, wird als langfristige Perspektive von den meisten Drogenexperten begrüßt. Sie sind sich aber darüber einig, daß in einer Situation, in der - nicht zuletzt bedingt durch die staatliche Drogenpolitik - die soziale und gesundheitliche Verelendung und Kriminalisierung der Heroinabhängigen einen traurigen Höhepunkt erreicht hat, das Ruder ohne staatliche Hilfe nicht herumgerissen werden kann. Drogenberater und Ärzte fordern personell ausreichend ausgestattete Ambulanzen und Vergabestellen in allen Stadtteilen. Doch der Senat scheint bisher nicht bereit, das Methadon-Programm mit kostenträchtigen Sofortmaßnahmen auf den Weg in die Normalisierung zu bringen.

Was viele niedergelassene Ärzte bisher hindert, sich an dem Substitutionsprogramm zu beteiligen, kann man vor allem von jenen wenigen Medizinern erfahren, die die Last der Methadon -Behandlung bisher allein auf ihren Schultern tragen. Neben dem strafrechtlichen Risiko und dem hohen Schreibaufwand für die BTM-Rezepte nervten vor allem die ständigen Anfragen von Junkies nach einer Methadon-Therapie, so ein Arzt, der in seiner Hamburger Praxis neben acht Methadon-Patienten auch noch 27 Junkies mit dem Medikament Remedacen versorgt (Remedacen ist ein kodeinhaltiges Präparat gegen Reizhusten, das ähnlich wie Methadon wirkt und deshalb von Ärzten quer durch die Republik Drogenabhängigen verschrieben wird; die Betroffenen vertragen Remedacen aber schlechter, weil sie davon etwa 40 Kapseln täglich einnehmen müssen). Dieser Arzt stieß immer wieder auf Schwierigkeiten, Krankenhäuser zu finden, die bereit waren, seine Methadon-Patienten im Notfall aufzunehmen und mit der Ersatzdroge weiterzuversorgen. Es ist ein Teufelskreis: Solange die Methadon-Behandlung nicht etabliert, solange sie mit einem strafrechtlichen Risiko verbunden ist und deshalb eine Angelegenheit von Außenseitern bleibt, solange wird auch der Ansturm der Drogenkranken für die wenigen bereitwilligen Ärzte zur nahezu untragbaren Belastung.

Pferdefuß BTM-Gesetz

Den größten Pferdefuß für alle Methadonprogramme in der BRD enthält das geltende BTM-Gesetz mit seinem eingeschränkten Katalog medizinischer Indikationen. So bestehen auch die Krankenkassen in Hamburg auf einem Passus im Vertrag, nach dem Methadon nur als letztes Mittel eingesetzt werden dürfe, wenn alle Therapieversuche vorher fehlgeschlagen seien. Voraussetzung für die Leistungspflicht sei außerdem die „Rehabilitationsfähigkeit“ des Drogenabhängigen, die Drogenfreiheit in absehbarer Zeit. Eine Sachverständigenkommission der Ärztekammer hat das auf Antrag des Kassenarztes in jedem Einzelfall zu prüfen. Auch um die Zustimmung aller Krankenkassen zu bekommen, so AOK -Chef Berends, sei der Vertrag streng nach dem Muster des BTM-Gesetzes gestrickt. Im Klartext: Bei sozialer Indikation, etwa zur Herauslösung aus der Kriminalität oder der Prostitution, wird nicht gezahlt.

Doch genau dies - so die Hoffnung der Drogenpolitiker wird die Hauptfunktion aller Methadon-Programme sein. Eine effektive Drogenpolitik, so fordern die Autoren einer vor zwei Wochen veröffentlichten Drucksache des Hamburger Senats im Zusammenhang mit der Methadon-Debatte, sollte bestimmt sein von Maßnahmen zur Überlebenshilfe, der Infektionsprophylaxe, der sozialen Integration und Befreiung vom unmittelbaren Beschaffungsdruck. Eine Methadon -Substitution dürfe nach übereinstimmenden Erfahrungen im Ausland nicht zeitlich begrenzt werden. Und weiter heißt es in dem Behördenpapier: „Eine auf Abstinenz zielende Strategie mit vorgegebenen Behandlungszeiten ist nach dieser Auffassung für die meisten Patienten illusionär.“ Den schwarzen Peter haben damit wieder die Kassenärzte, die sich um die Indikationsklauseln des Krankenkassen-Vertrags irgendwie herummogeln müssen.

Gabi Haas