Modrow übergibt sich - samt DDR: „Deutschland einig Vaterland“

■ DDR-Ministerpräsident legt Konzept vor: Vereinigung und Neutralität / Bonn pocht auf die Nato, nur die Grünen nicht / Gorbatschow wußte alles

Bonn/Berlin (taz) - Jetzt ist auch DDR-Ministerpäsident Hans Modrow zu den Vereinigern übergelaufen. Gestern legte er in Ost-Berlin einen Plan zur „Bildung eines einheitlichen deutschen Staates“ vor, dessen Regierung ihren Sitz in Berlin haben soll. Schon auf der ersten der vier Stufen des Plans, einer Vertragsgemeinschaft, soll es eine Wirtschafts -, Währungs- und Verkehrsunion geben. Zweiter Schritt hin zu „Deutschland einig Vaterland“ (Modrow) soll eine Konföderation „mit gemeinsamen Organen und Institutionen“, darunter auch eine Länderkammer und bestimmte Exekutivorgane, sein. Anschließend können Souveränitätsrechte beider Staaten an Organe der Konföderation übertragen werden, und schließlich führen „Wahlen in beiden Teilen der Konföderation zu einem einheitlichen Parlament“.

Modrow, der seinen Plan gestern nachmittag vor der internationalen Presse vorstellte, fügte allerdings hinzu, er habe sein Konzept nicht mit seiner Partei oder den DDR -Oppositionsgruppen abgesprochen. Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten machte er von mehreren Voraussetzungen abhängig: Die „Interessen und Rechte der vier Mächte sowie aller Völker Europas an Frieden, Souveränität und sicheren Grenzen“ müßten gewahrt bleiben, von beiden deutschen Staaten abgeschlossene Verträge müßten „strikt“ erfüllt werden - vor allem „das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten“. Schließlich forderte der Ministerpräsident die „militärische Neutralität von DDR und BRD auf dem Weg zur Föderation“. Schon in zwei Tagen will Modrow mit Bundeskanzler Helmut Kohl beim Weltwirtschaftsforum in Davos über dieses Thema reden. Bei seinem Besuch in Moskau habe er, so Modrow, seine Konzeption „nicht unmittelbar“ mit Gorbatschow „abgestimmt“, aber man habe darüber geredet. Gorbatschow hatte mit seiner Äußerung, die Vereinigung der Deutschen werde prinzipiell von niemandem in Zweifel gezogen, bei dem Modrow-Besuch weltweit Aufsehen erregt.

Die politische Szene in Bonn wurde von Modrows Vorstoß offenbar kalt erwischt. Helmut Kohl, dessen 10-Punkte-Plan damit schon überholt ist, war gerade nach Berlin (West) abgetaucht, um die DDR-Rechtsparteien zu vereinigen, ein Großteil der Bonner Prominenz hielt sich gerade zu einer Tagung in der Evangelischen Akademie Tutzing auf. Von dort kam auch die erste Kritik - an Modrows Neutralitätsvorschlag. Willy Brandt und Hans-Dietrich Genscher wollen davon nichts wissen. Positiv äußerte sich der SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel: Die Vorschläge stellten eine deutliche Abkehr von bisherigen offiziellen Positionen der DDR-Regierung und der SED dar. Jetzt gebe es keinen Grund mehr, sogleich mit der Soforthilfe und umfassender Kooperation zu beginnen. Zurückhaltender äußerte sich Fraktionsvize Horst Ehmke: „Interessant“, aber „nicht realistisch“ nannte er den Plan. Letzteres aus zwei Gründen: erstens, weil er darauf abziele, „längerfristig die Zweistaatlichkeit noch auszubauen“. Die Entwicklung dränge aber, so Ehmke, „schneller auf einen einheitlichen Staat“. Statt eines komplizierten Vierstufenplans müsse eine Form gefunden werden, „wo man nicht erst große Diskussionen über alliierte Rechte und Grundgesetzänderungen führen muß“. Zweitens sei die von Modrow vorgeschlagene Neutralität „völlig falsch“, weil dieser Begriff „dem alten Blockdenken verhaftet“ sei und von der Weiterexistenz der Blöcke ausgehe. Statt dessen müsse ein einheitliches Deutschland „Scharnierfunktion für eine Politik gemeinsamer Sicherheit“ haben. Im übrigen, so der SPD-Politiker, „sagt Modrow nur, was Gorbatschow schon gesagt hat, und er spricht wohl nicht im Namen der DDR-Regierung.

Ähnlich CDU-Generalsekretär Volker Rühe: Er begrüßte im Prinzip das Modrow-Konzept, weil es sich an den 10-Punkte -Plan von Bundeskanzler Helmut Kohl insofern anlehne, als es die Einheit der deutschen Nation in Aussicht stelle. „Die Neutralität Deutschlands kann aber nicht das Ziel sein“, betonte er. Auch ein einiges Deutschland werde eine Demokratie sein, die sich zu den Werten der westlichen Gemeinschaft bekenne und eng mit den europäischen Demokratien verbunden sein werde.

Der deutschlandpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Eduard Lintner, meinte, es „könnte ein wichtiger Fortschritt sein“, daß Modrow sich jetzt uneingeschränkt zur staatlichen Einheit Deutschlands bekenne. Es bleibe abzuwarten, ob die SED ihm folgen werde.

Als Vertreterin der Grünen sah Antje Vollmer in Modrows Konzept den Versuch, im Tausch „Einheit gegen Neutralität die sowjetischen Sicherheitsinteressen zu schützen und Dämme gegen eine vollständige Vereinnahmung der DDR durch die Nato zu bauen“.

Für die FDP begrüßte Parteichef Lambsdorff zwar Modrows Einheitsideen, ein neutrales Deutschland aber könne für seine Partei kein Thema sein. Der DDR-Regierungschef zäume das Pferd von hinten auf. Abrüstung, Rüstungskontrolle und Verifikation müßten die ersten Schritte sein. Erst dann könne eine Diskussion über Sinn und Inhalt der Paktsysteme ernsthaft geführt werden.

Für die DDR-Opposition äußerte sich in einem taz-Interview der Geschäftsführer der Bürgerbewegung Demokratie Jetzt, Stephan Bickhardt. Modrows Plan sei ein qualitativ neuer Schritt. „Man kann sagen, daß Herr Modrow nicht mehr derselbe ist, der er gestern war. Vielleicht ist das der Einstieg in die Regierung der nationalen Verantwortung.“ Kritisch äußerte sich Bickhardt allerdings zu dem Vorschlag, Berlin solle Sitz der künftigen einheitlichen Regierung werden. „Ich weiß nicht, ob eine neue deutsche Hauptstadt nicht Frankfurt sein sollte, um eindeutig und für immer unseren neuen Staat nicht an die Tradition des Herrn Bismarck und des Herrn Hitler anzubinden.“ Unterstützung gegen Berlin (das gestern auch von Walter Momper wieder ins Gespräche gebracht wurde) erhielt Bickhardt aus Bayern. Dort schlug Ministerpräsident Streibl allerdings die Weißwurstmetropole als Alternative vor. Interview auf Seite 2

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