Haupstadtsuche

■ Die taz sprach mit Möchtegern- und Noch-Chefs

Das Hauptstadtfieber grassiert. Von den Unionsparteien-West bis zur SED-Ost wird die alte Reichshauptstadt an der Spree favorisiert. Einzige Ausnahmen: die AL und die CSU. Vorgestern abend machte der Vorschlag des bayrischen Ministerpräsidenten Max Streibl (CSU) Furore, der mit der bekannten bayrischen Bescheidenheit gleich drei Gegenangebote aus dem Ärmel zauberte: München, Augsburg und Nürnberg. Die taz wollte von den Oberbürgermeistern dieser Städte sowie von Bonn und Frankfurt wissen, ob sie weiter gern Hauptstadt sein oder werden wollen, und was sie vom Vorschlag Berlin halten.

Ein Dementi kam aus dem Süden: Die Staatskanzlei in München zog den Streibl-Vorschlag zurück mit der Begründung, die Meldung sei versehentlich ohne genaue Abstimmung herausgegeben worden. Wieder mal zu tief ins Glas geschaut, Herr Streibl? Münchens OB Georg Kronawitter (SPD) meinte gegenüber der taz: „Mit Titeln wie heimliche Hauptstadt oder schönste Stadt der Bundesrepublik ist München reichlich gesegnet. Anstelle von verbalen Hauptstadtspielereien sollten alle Politiker sich anstrengen, daß allen BügerInnen auch in Zukunft ein vernünftiges Leben möglich ist.“

Im Presseamt der Stadt Nürnberg fühlte man sich zwar geschmeichelt, glaubte aber nicht so recht an eine solch große Zukunft. „Wir glauben es faktisch nicht, denn es wird doch alles auf Berlin zu laufen. Vermutlich wäre jede Stadt daran interessiert, nur muß man da die realen Möglichkeiten sehen, und die sprechen grundsätzlich dagegen.“

In der Stadt der ersten deutschen Verfassung wollte man sich zur Hauptstadtsuche nicht äußern: OB Volker Hauff (SPD) werde Frankfurt nicht ins Gespräch bringen. „Den Vorschlag Berlin wollen wir nicht kommentieren.“

Schwer zu schlucken hat die Noch-Hauptstadt an ihrer Konkurrenz: OB Daniels (CDU) zerbricht sich schon seit Wochen den Kopf. „Bonn ist die Haupstadt der Bundesrepublik Deutschland und wird dies auch bleiben, so lange die BRD besteht. Natürlich würde ich mir wünschen, daß Bonn auch in einem vereinigten Deutschland weiter Hauptstadtfunktion ausübt. Eine Aufteilung der Haupstadtfunktionen auf Bonn und Berlin könnte ich mir sehr gut vorstellen.“ Vereinigtes Deutschland, getrennte Haupstadt?

Kordula Doerfler