Keine Angst vor einer Hauptstadt Berlin

■ AL will zwei deutsche Staaten und keine Hauptstadt Berlin / Sozialdemokraten sind für die Hauptstadt, aber bitte sanft / Zentralen Bereich zur politischen Mitte Europas machen / Staatssekretär: Senat hat genug Power, um die Hauptstadtprobleme zu bewältigen / Christdemokraten fordern großen städtebaulichen Wettbewerb

Berlin soll wieder deutsche Hauptstadt werden. Das sagte am Donnerstag DDR-Ministerpräsident Modrow bei der Vorstellung seines Planes zur Neuvereinigung der beiden deutschen Staaten. Das es so weit kommen würde, wer hätte das in den letzten Tagen noch in Zweifel zu ziehen gewagt. Aber nun ist es ausgesprochen. Bei den Berliner Parteien ist Hauptstadtfieber jedoch noch nicht ausgebrochen. Die Reaktionen sind unterschiedlich, doch insgesamt zurückhaltend.

Die AL bezeichnet den Modrow-Plan als Flucht nach vorn, „um zu retten, was noch zu retten ist“. Für sie gebe „es keine erstrebenswerte Alternative zur deutschen Zweistaatlichkeit“. Harald Wolf, Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses, bezeichnete in einem Gespräch mit der taz die Chancen der DDR, ihre Souveränität zu wahren, als „schlecht“. Er räumte aber ein, daß die Zweistaatlichkeit „nicht bis zum Ende aller Zeiten gedacht“ werden könne. Thematisiert werden müsse, daß mit Vereinigungseuphorie „falsche Hoffnungen bei den DDR-Bürgern geweckt“ würden. Die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Probleme würden vernachlässigt. Die Deutschen wären gut beraten, meinte Wolf, Berlin wegen seiner belasteten Geschichte als Reichshauptstadt nicht zur Hauptstadt eines neuen deutschen Zentralstaates zu machen.

Für verfrüht hält der deutschlandpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Löffler, Überlegungen zur neuen Hauptstadtfunktion. Daß Berlin dagegen Sitz konförderativer Institutionen wird, die im Verlauf der Entwicklung entstehen werden, steht für ihn außer Zweifel. Die vom Regierenden Momper betonte Einbindung der deutschlandpolitischen Entwicklung in den europäischen Prozeß sei Position der gesamten Berliner SPD. Löffler begrüßte den Vorstoß des Regierenden, die KSZE-Folgekonferenz nach Berlin zu holen. Denkbar sei, dafür die Planung für das Deutsche Historische Museum (DHM) im Spreebogen aufzugeben und dort ständige Einrichtungen für die KSZE-Tagungen zu schaffen. Eine Position innerhalb der Berliner SPD, Berlin nicht zur Hauptstadt zu machen, sehe er nicht. Harald Wolf betonte dagegen, daß die AL für Berlin zwar auch eine zentrale europäische Aufgabe sehe. Er schloß aber Koalitionskonflikte nicht aus, sollte die SPD das Thema Berlin als Hauptstadt forcieren.

Staatssekretär Haesen bei der Senatorin für Bundesangelegenheiten, Heide Pfarr, teilte mit, daß es keine konkreten Planungen für die Hauptstadt Berlin gebe. „Wenn der Beschluß kommt, haben wir genug administrative Power, das ordentlich über die Runden zu bringen.“ Im übrigen sei es den Menschen in der DDR wohl kaum zuzumuten, im Falle einer Vereinigung eine andere Stadt als Berlin zur Hauptstadt zu machen. Den Vorschlag des bayerischen Ministerpräsidenten Streibl, den der inzwischen schon wieder zurückgezogen hat, München, Nürnberg oder Augsburg zur Hauptstadt zu machen, hält Haensel für „skurril“. Dem stimmt auch der Sprecher der Ost-CDU-Fraktion, Thomas de Maiziere, zu. Für ihn ist der Vorschlag „ein sehr bayrischer Wahlkampfvorstoß und der Versuch, ein paar Millionen zu kriegen wie bei Wackersdorf“. Für die CDU-Berlin sei klar, daß „der Sitz einer deutschen Regierung nur Berlin sein kann“. Jedoch werde Berlin, wie in der Vergangenheit auch, nie eine Hauptstadtfunktion wie Paris oder Rom haben. Unter den förderativen Strukturen eines deutschen Einheitsstaates sei vorstellbar, daß Berlin eine zentrale politische Bedeutung erhalte. Finanzmetropole zum Beispiel könne weiterhin Frankfurt/Main bleiben. Auch die CDU sei dafür, den zentralen Bereich „für politische Funktionen frei“ zu machen. Eine Änderung der Planungen für das DHM lehnt die CDU ab. Sie fordert, einen „großen internationalen Städtebauwettbewerb“ auszuschreiben, um zu verhindern, daß zum Beispiel durch die „Ansiedlung von Hertie am Potsdamer Platz“ Fakten geschaffen würden und damit der Platz für ein „Ost-West-Forum“ verloren sei.

raul gersson