Aufschub vor dem Rausschmiß

■ Ausländerbehörde darf vorerst keine Ausreiseaufforderungen an Pol(Inn)en verschicken / Polnische Bürger haben sich sogar an die UNO gewandt

Die Ampel steht vorerst wieder auf rot: Mit sofortiger Wirkung hat die Innenverwaltung die Erteilung von Ausreiseaufforderungen an polnische Staatsbürger gestoppt. Was am Donnerstag vom Sprecher der Innenbehörde, Thronicker noch energisch dementiert worden war, hat sich gestern nun doch bewahrheitet. In einem Brief der Innenverwaltung wurde die Ausländerbehörde angewiesen, vorerst keine neuen Ausreiseaufforderungen an PolInnen zu verschicken, die von der neuen Ostblockweisung des Innensenators vom Dezember 1989 betroffen sind.

Dies bestätigte nunmehr auch Pressesprecher Thronicker. Bereits verschickte Ausreiseaufforderungen werden nach Angaben eines Mitarbeiters der Innenverwaltung allerdings nicht zurückgezogen - „aber die Fristen werden verlängert“. Wieviele PolInnen bereits einen entsprechenden Brief der Ausländerbehörde erhalten haben, wußte er nicht zu beziffern.

Nach wie vor gilt die Weisung unverändert für abgelehnte Asylbewerber aus Polen und anderen osteuropäischen Ländern, die nach dem Stichttag, dem 1. Dezember 1989, eingereist sind. Sie müssen in ihre Heimatländer zurückkehren. Für Angehörige ehemaliger Ostblockstaaten (in der Praxis hauptsächlich PolInnen), die vor Dezember nach Berlin gekommen sind, soll die Regelung allerdings modifiziert werden. Sie waren im Vertrauen auf die bis dahin übliche Praxis eingereist, nach der polnische Staatsbürger auch nach Ablehnung ihres Asylantrages hierbleiben dürfen.

Unter den über 20.000 in Berlin lebenden PolInnen hat die Weisung zu enormer Verunsicherung geführt. „Die fühlen sich absolut betrogen“, berichtete gestern eine Heimmitarbeiterin. In einem offenen Brief haben sich polnische Bürger bereits im Dezember an die Alliierten, den Regierenden Bürgermeister und auch die Vereinten Nationen und gegen die Behandlung durch die deutschen Behörden protestiert.

Der „Polnische Sozialrat“ appellierte darüberhinaus an den Senat, Druck auf die Arbeitsämter auszuüben. „Uns sollte Gelegenheit gegeben werden, unseren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit zu verdienen“, fordern auch die Unterzeichner des Briefes. Dem Senat legte der Sozialrat zudem nahe, mit Ost-Berlin über Beschäftigungsmöglichkeiten von PolInnen in der DDR zu verhandeln. Ein Vorschlag, der angesichts der nahenden Einverleibung der DDR durch die Bundesrepublik vielleicht bald hinfällig sein dürfte.

anb