Die Weltmeisterschaft der Stoppelhopser

■ Die Teilnehmer der Rad-Cross-WM hoffen darauf, daß ihnen die baskische Sonne eine trockene Piste beschert

Berlin (taz) - Die Radquerfeldeinfahrer, die in der ungemütlichsten Jahreszeit, oft in Eis und Schnee, um bescheidene Preisgelder und Titel streiten, können schon einiges wegstecken. Dennoch werden alljährlich vor den WM -Titelkämpfen Stoßgebete gen Wettergott gerichtet. Und das hat seinen guten Grund. In den letzten zehn Jahren (zuletzt 1988 im schweizerischen Hägendorf) wurden die Titelkämpfe drei Mal unter irregulären Bedingungen ausgetragen, zu Weltmeisterschaften im Schlammlaufen degradiert.

Knöcheltiefer Morast, der an eine Wattlandschaft erinnerte, ließ manchen Titeltraum exzellenter Radfahrer buchstäblich im Schlamm versinken. Für heute (Amateure) und morgen (Junioren und Profis) wünschen sich die Zweiradakrobaten daher nichts sehnlicher als ein wenig spanische Sonne und eine trockene Piste im baskischen Getxo, das in der Nähe von Bilbao liegt.

Einst als Ausgleich für die lange Straßensaison gedacht, hat sich das Metier der Rad-Crosser in den letzten fünfzehn Jahren zusehends zu einer Disziplin für Spezialisten entwickelt. Gute Straßenfahrer sieht man im Winter kaum noch bei Querfeldeinrennen. Die Preisgelder sind wenig lukrativ, und zudem wird die fehlende Akzeptanz von seiten der Medien bejammert. Da darf es nicht verwundern, daß dieser kräftezehrenden Spezialdisziplin der Nachwuchs fehlt. Bei den deutschen Meisterschaften in Magstadt gingen in der Jugendklasse gerade zwei Dutzend Bewerber in den Titelkampf.

Bundestrainer Klaus Jördens, 1974 Meister bei den Amateuren, beklagt derzeit jedoch nicht nur den fehlenden Nachwuchs. Die Akteure des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) haben den internationalen Anschluß verpaßt, nachdem sie jahrelang durch Rolf Wolfshohl, Klaus-Peter Thaler, Dieter Uebing, Ekkehardt Teichreber und Mike Kluge WM-Medaillen gescheffelt hatten. 1985 in München und 1987 in Mlada Boleslav (CSSR) gingen durch Kluge (Amateure) und Thaler (Profis) gar beide Titel in die Bundesrepublik.

An solche Erfolge wagt man derzeit im Lager des BDR selbst in den kühnsten Träumen nicht zu denken. „Ein Platz unter den besten Zehn, das wäre schon ein Erfolg“, gab Jördens für die Amateure eine realistische Zielsetzung aus. Nach dem Wechsel von Mike Kluge ins Lager der bezahlten „Stoppelhopser“ fehlt im Team eine Leitfigur. Der Preetzer Georg Bickel, auf nationaler Ebene Kluges Nachfolger, könnte am ehesten den Sprung in die Weltelite schaffen. Aber den Kampf um die Medaillen werden vermutlich wieder einmal die Starter aus der Schweiz und der CSSR unter sich ausmachen, die nach Kluges Wechsel ins Profilager die internationale Szene bei den Amateuren beherrschen.

Wiedergutmachung für seine blamable Vorstellung bei der letztjährigen WM im französischen Pontchateau hat der 27jährige gelernte Zahntechniker Mike Kluge angekündigt. In seiner zweiten Saison als Berufsfahrer ist ihm bisher noch nicht der erhoffte Durchbruch gelungen. Um sich optimal auf die Titelkämpfe vorbereiten zu können, hat Kluge sogar auf die lukrative Teilnahme am Berliner Sechstagerennen verzichtet und seinen Wohnsitz kurzfristig ins Hessische verlegt, um dort mit den Gebrüdern Berner, die das Amateurrennen bestreiten, unter Rennbedingungen trainieren zu können.

„Bei kühlem und trockenem Wetter habe ich eine Chance“, meint Kluge, doch zum Favoritenkreis zählt er auf dem 2,6 Kilometer langen Rundkurs im morgigen Profirennen nicht. Titelverteidiger Danny de Bie (Belgien), der sich unlängst die inoffizielle Weltcup-Wertung sicherte, sowie die beiden Schweizer Pascal Richard (Weltmeister 1988) und Beat Breu (14 Siege in dieser Saison) sind die Top-Anwärter auf den Titel. Sollte der im Baskenland oftmals heftig einsetzende Atlantikregen ausbleiben, dann steigen neben denen Kluges auch die Chancen des exzellenten holländischen Straßenfahrers Adrie van der Poel (Vizeweltmeister 1985, 1987 und 1989).

Nicht zuletzt sind dann auch reguläre Titelkämpfe gewährleistet - im Radcross und nicht im Schlammlaufen mit geschultertem Rad.

Peter Mohr