Neue Aufgaben für die Arbeitsämter

Polen: Offizielle Arbeitslosigkeit gibt es noch nicht, wohl aber ein entsprechendes Gesetz / Nicht vermittelbare Berufe nehmen zu / Noch entspricht die Zahl der Stellensuchenden mehr oder weniger der Zahl der Angebote  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

In Polens Arbeitsämtern herrscht Verwirrung. Bisher hatten sich die BeamtInnen darauf beschränken können, die Anforderungen der Staatsbetriebe zu registrieren. Denn praktisch vierzig Jahre lang gab es in Polen nicht Arbeitsplätze-, sondern Arbeitskräftemangel. Am Samstag etwa strahlten den Schlachtenbummlern der Krakauer Fußballklubs nicht Bier- oder Zigerettenreklamen wie im Westen von den Banden entgegen, sondern Angebote der örtlichen Großbetriebe. In fast jedem Autobus in Warschau hängt ein Plakat: „Gut verdienen, Busfahrer werden“. Da jedoch bisher von „gut verdienen“ in diesem Bereich kaum eine Rede sein konnte, war auch die Begeisterung der BusbenützerInnen bisher eher begrenzt. Das könnte sich nun ändern.

Denn inzwischen gehen die Arbeitsämter dazu über, statt Stellenangeboten Stellengesuche entgegenzunehmen und zu bearbeiten. Schon klopften die ersten Arbeitslosen an die Türen der Behörden - dabei wissen deren Angestellte oft gar nicht, aus welchem Fonds sie die neue Kundschaft bedienen sollen. Wer bisher arbeitslos wurde, mußte selbst sehen, wo er blieb. Nun gibt es seit Mitte Januar das „Beschäftigungsgesetz“, was allerdings ironischerweise eher ein Entlassungsgesetz ist. Es regelt hauptsächlich die wirtschaftlich bedingte Massenentlassungen und die Rechte der Arbeitslosen.

Es ist das erste derartige Gesetz im Nachkriegspolen, obwohl es Arbeitslosigkeit auch bisher schon gab. Experten schätzten sie gar auf 5 bis 10 Prozent. Allerdings unterschied sich diese Arbeitslosigkeit ganz entscheidend von der westlicher Industrieländer: Die polnischen Arbeitslosen arbeiteten durchaus, nur nicht in der staatlichen Industrie. Statt dessen betrieben sie Schwarzhandel, lebten vom Erteilen von Sprachunterricht und von ihren Ersparnissen aus Auslandsarbeit. Auch mit Gesetzen über Arbeitspflicht war dem Phänomen nicht wirklich beizukommen. Solange die staatliche Industrie unterbezahlte, wichen viele auf den „zweiten Markt“ aus.

Legalisierung des

schwarzen Arbeitsmarktes

Diese Zeiten gehen nun dem Ende zu, denn große Teile des schwarzen Arbeitsmarktes wurden von der neuen Regierung schlicht dadurch stillgelegt, daß er legalisiert wurde. Nun herrscht auch dort Konkurrenz. Diejenigen, die nun vor allem bei den ländlichen Arbeitsämtern Schlange stehen, suchen nun im westlichen Sinne Arbeit - was daran liegt, daß die Preisfreigaben und die Subventionsstreichungen zum ersten Mal Rationalisierungen erzwungen haben.

Langsam können sich die Betriebe nun auch ihre Arbeitskräfte aussuchen - bisher war es umgekehrt, Arbeitswillige suchten sich einen passenden Betrieb. Die Arbeitgeber, die sich erstmals vor zwei Wochen zu einer Vereinigung zusammenschlossen, erhoffen sich von der Arbeitslosigkeit eine Erhöhung der Arbeitsmoral und eine Verminderung der in Polen sehr hohen Abwesenheitsquote.

Doch trotz teilweise gigantischer Arbeitslosenquoten von 10 bis 30 Prozent, die durch die in- und ausländische Presse geistern, ist Polen von wirklicher Arbeitslosigkeit noch weit entfernt. Diejenigen, die zur Zeit vor den Ämtern Schlange stehen, sind vor allem entlassene Strafgefangene, die im Rahmen der jüngsten Amnestie auf freien Fuß kamen. Sie bauen vor, aus Angst vor kommender Arbeitslosigkeit, in Unruhe versetzt durch entsprechende Presseberichte. Zwar gibt es bereits erste Meldungen über Entlassungen, doch während der staatliche Sektor seine Beschäftigtenzahl vermindert, steigt die Beschäftigung im privaten Sektor, der noch dazu wesentlich höhere Löhne bezahlt als die Staatsbetriebe - oft vier bis fünfmal soviel.

Schwierigkeiten gibt es zur Zeit allerdings mit HochschulabsolventInnen, vor allem mit InformatikerInnen und besonders mit SozialwissenschaftlerInnen. Doch nach dem „Beschäftigungsgesetz“ erhalten sie auch dann Arbeitslosenhilfe, wenn sie bisher noch keinen Arbeitsvertrag hatten. Nach wie vor Mangel herrscht indessen an FacharbeiterInnen. In Katowice etwa waren im Dezember 1988 insgesamt 55.000 Stellenangebote von Betrieben registriert. In den meisten anderen Städten entspricht die Zahl der Stellensuchenden mehr oder weniger der Zahl der Angebote.

Allerdings befindet sich Polen auch erst am Anfang seines marktwirtschaftlichen Weges. Nach wie vor ist in vielen Bereichen die Arbeitskraft noch billiger als Rationalisierungsinvestitionen. Zugleich ist der Dienstleistungssektor unterbesetzt. Hauptproblem bei der Arbeitsplatzverlagerung: der Mangel an Wohnungen. Theoretisch könnten die in Schlesien entlassenen Bergarbeiter zwar in Danzig zu Kellnern umgeschult werden, doch ihre Wohnungen können sie leider nicht mitnehmen. Schon deshalb ist die Entwicklung auf Polens Arbeitsmarkt schwer abzusehen. Das neue Gesetz versucht dem vorzugreifen.

Bei künftigen Massenentlassungen müssen Arbeitsamt und Gewerkschaften konsultiert werden, ein Sozialplan ist gesetzlich vorgeschrieben. Je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit erhalten Arbeitnehmer ein bis drei Monatslöhne als Abfindung ausgezahlt. Werden sie woanders mit geringerem Einkommen als bisher beschäftigt, wird der Unterschied aus dem Arbeitsfonds zugeschossen. Dieser Fonds, der aus Beiträgen der Arbeitgeber, Beteiligungsfonds und Staatszuschüssen finanziert wird, finanziert auch die Arbeitslosenhilfe. Sie beträgt in den ersten drei Monaten 70 Prozent, bis zum neunten Monat 50 Prozent und anschließend unbegrenzt 40 Prozent des vorherigen Lohns, insgesamt aber nicht mehr als der Durchschnittslohn in der staatlichen Wirtschaft und nicht weniger als der gesetzliche Mindestlohn.

Diese Einschränkungen sollen verhindern, daß ein neuer Schwarzmarkt entsteht. Kritisiert worden ist das neue Gesetz inzwischen von beiden Seiten. Einige Abgeordnete verweigerten ihre Zustimmung, weil Entlassungen auch ohne Zustimmung des Betriebsrats vorgenommen werden können. Verhindert werden können sie tatsächlich auf keinen Fall. Die Gewerkschaften haben nur ein Recht auf Anhörung, Information über die Gründe und Beteiligung an der Durchführung. Allein der Arbeitsminister kann Massenentlassungen für drei Monate aussetzen, wobei die Beschäftigten des jeweiligen Betriebes allerdings vom Arbeitsfonds bezahlt werden müssen - in voller Höhe des bisherigen Lohnes. Die staatlichen wie auch die privaten Arbeitgeber kritisieren indessen die Abfindungsregelungen: Bei Massenentlassungen seien die Betriebe voraussichtlich oft nicht in der Lage, sie auszubezahlen.