Weisser Bann gebrochen: ANC wird legalisiert

■ Mandelas Freilassung steht bevor / Apartheidregime ebnet den Verhandlungsweg

Mit Jubelfeiern und Stammestänzen feierte gestern die Bevölkerungsmehrheit Südafrikas die überraschend umfassenden Zugeständnisse Präsident Frederick de Klerks, der das Verbot des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), der Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP) und anderer verbotener Widerstandsorganisationen aufhob.

In Johannesburg ging die Polizei teilweise mit Schlagstöcken und Tränengas gegen ANC-Anhänger vor, die angeblich den Verkehr behinderten. Aus vielen Städten des Landes wurden spontane Demos und Versammlungen gemeldet.

Bischof Tutu bezeichnete de Klerks Ankündigungen als „wunderbar“. “...das nahm mir den Atem“, sagte er Journalisten.

Schlagfertig reagierten westliche Regierungen, die umgehend Einladungen an Nelson Mandela nach Bonn, Washington und London aussprachen, sobald der ANC-Führer aus der Haft entlassen wird.

In seiner weltweit mit Spannung erwarteten Regierungserklärung zur Eröffnung des Parlaments in Kapstadt zog de Klerk auch alle Banne von Einzelpersonen zurück. Die bedingungslose Freilassung des seit 1962 inhaftierten Mandela versprach de Klerk „ohne Verzögerung“.

„Es ist das Ziel der Regierung den politischen Prozeß in Südafrika zu normalisieren, ohne die Aufrechterhaltung guter Ordnung zu gefährden“, sagte de Klerk. So wurden die meisten Bestimmungen des seit 1986 gültigen Ausnahmezustandes aufgehoben - darunter Restriktionen der Presse und Verbote verschiedener Organisationen. Aber Ausnahmebestimmungen, die der Polizei weitreichende Vollmachten einräumen, bleiben bestehen. De Klerk kündigte auch die Freilassung von politischen Gefangenen an, die sich nicht an Gewalttaten beteiligt haben. Zudem sollen Hinrichtungen suspendiert, die Rechtspraxis bei der Verhängung von Todestrafen revidiert werden.

Der ANC begrüßte in einer ersten Reaktion die Aufhebung des Verbots der Organisation. „Wir sind aber besorgt, daß einige politische Gefangene nicht freigelassen werden sollen“, sagte ein Sprecher in Stockholm, wo die ANC-Führung zur Zeit zu Konsultationen mit ANC-Präsident Oliver Tambo versammelt ist. Der ANC kritisierte auch, daß der Ausnahmezustand nicht vollständig aufgehoben wurde. „Wir drängen auf die Freilassung von Nelson Mandela ohne weitere Verzögerungen.“

De Klerk betonte in seiner Rede, daß der ANC wie alle anderen Organisationen nun am politischen Prozeß teilnehmen könne. „Von nun an werden alle politischen Meinungen geprüft werden auf ihren Realismus, ihre Durchsetzbarkeit und ihre Fairneß“, sagte der Präsident. „Es gibt keine vernünftige Entschuldigung für die Fortsetzung von Gewalt mehr“, sagte er. Als einzige Maßnahme, die die Durchsetzung von Apartheid betrifft, kündigte de Klerk jedoch die Abschaffung von Rassentrennung in öffentlichen Einrichtungen an.

Als Ziele eines neuen Südafrikas nannte er ein Stimmrecht für alle, keine Vorherrschaft, den Schutz von Minderheiten und eine freie Marktwirtschaft. Regierungsminister erklärten weiter, daß nach Rassen getrennte Wahlen noch eine Möglichkeit seien. Eine Entscheidung darüber müsse jedoch Gegenstand von Verhandlungen sein.

Allan Boesak, Präsident des reformierten Weltbundes, sagte kurz nach Bekanntwerden der Präsidentenrede: „Dies ist die wichtigste Rede, seit die Nationale Partei 1948 die Macht übernahm.“ Nach de Klerks Rede sind fast alle in der sogenannten „Erklärung von Harare“ gestellten Vorbedingungen des ANC für Verhandlungen mit der Regierung erfüllt.

Führer der Vereinigten Demokratischen Front (UDF), der größten Oppositionsorganisation in Südafrika, waren bei einer ersten Pressekonferenz anderer Meinung. Sie sagten, daß der Druck auf die südafrikanische Regierung aufrechterhalten und sogar noch veschärft werden müsse. „Wir geben zu, daß dies ein mutiger Schritt von seiten der Regierung war“, sagte UDF-Pressesprecher Patrick Lekota. „Doch wir bestehen darauf, daß die Bedingungen der Erklärung von Harare voll erfüllt werden müssen.“ Dulla Omar, Rechtsanwalt von Nelson Mandela, betonte, daß eine Rückkehr von ANC-Mitgliedern aus dem Exil noch nicht möglich sei. „Es gibt keine Garantie der Straffreiheit“, sagte er. „Wenn Tambo morgen zurückkäme, könnte er zumindest technisch sofort wegen Hochverrats verhaftet werden.“ Lekota beschrieb de Klerks Ankündigungen dennoch als einen Sieg für die Opposition. „Freiheit ist jetzt in Sicht“, sagte er. „Mit Massenaktionen müssen wir dafür sorgen, daß dieser Prozeß nicht mehr umgekehrt werden kann.“